Asmahan Gamgami: „Du könntest mir alles nehmen – ich würde mich wieder aufbauen.“
Asmahan Gamgami ist Expertin für Personalentwicklung, Diversity, Equity & Inclusion sowie Organisations- und Kulturwandel. Sie leitet die Abteilung People & Culture beim Fußball-Bundesligisten TSG Hoffenheim und verantwortet dort auch den Bereich Corporate Social Responsibility. Aufgewachsen in Dortmund mit familiären Wurzeln in Marokko, verbindet sie strategisches Denken mit Empathie und einem intersektionalen Blick auf Machtverhältnisse und Teilhabe. Zuvor war sie Global Diversity Managerin bei der OBI Group Holding, wo sie Vielfalt als strukturellen Bestandteil einer gerechten Organisationskultur etablierte. Als Speakerin und Autorin spricht sie über Führung, Antidiskriminierung und Kulturwandel. 2025 veröffentlichte sie ihr zweites Buch „BI_PoC Diversity Managerinnen in weißen Organisationen“, in dem sie untersucht, wie Veränderung in hierarchischen Systemen möglich ist, ohne dass die Treibenden daran zerbrechen. Außerdem ist sie Jurymitglied im Innovationsprogramm für Geschäftsmodelle und Pionierlösungen (IGP) des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Dieses Interview führte Haya Saadun. SWANS: „Wie würden Sie Ihre Kindheit beschreiben? Wie sind Sie aufgewachsen?“ Asmahan Gamgami: „Schwierig zu beantworten – meine Kindheit war sehr ambivalent. Einerseits behütet, andererseits auch hart. Meine Mutter war alleinerziehend, und mit zwei deutlich älteren Geschwistern habe ich mich oft wie ein Einzelkind gefühlt. Wenn ich sah, wie groß und lebendig andere migrantische Familien waren, empfand ich unsere kleine Familie manchmal als einsam. Ich war extrem wissbegierig und lehnte den Mainstream schon früh ab. Mein Bruder hat mir sehr früh kritisches Denken beigebracht – Regeln und Systeme zu hinterfragen, Dinge nicht einfach hinzunehmen. Ich war ein sehr glückliches und gleichzeitig ein sehr trauriges Kind. Niemand wusste damals, dass ich ADHS habe. Dadurch fühlte ich mich oft „anders“, unverstanden und vielleicht auch seltsam/ambivalent für andere. Gleichzeitig hatten wir zuhause viel Leichtigkeit und Wärme. Meine Mutter war trotz aller Umstände ein fröhlicher Mensch. Sie hatte viele Freundinnen, die regelmäßig zu uns kamen. Dann war das Haus voller Lachen, Gespräche und Musik. Es gab immer Bewegung, Leben, Geschichten. Wir haben viel unternommen – kleine Ausflüge, Spaziergänge, spontane Nachmittage draußen. Diese Momente haben mein Gefühl von Zuhause stark geprägt – sie gaben mir Halt und Freude, auch wenn vieles im Außen schwierig war. Ich hatte als Kind oft Freundschaften zu Erwachsenen: zu unserer Briefträgerin, einem älteren Nachbarn, an dessen Garten ich nach der Schule vorbeilief, und zu anderen Menschen, die mir im Alltag begegneten. Wir unterhielten uns, sie schrieben mir Karten aus ihrem Urlaub. Ich glaube, ich hatte schon damals ein starkes Bedürfnis nach echten, tiefen Beziehungen. Ich war immer auf der Suche nach Bedeutung. Und irgendwie suche ich bis heute. Manchmal finde ich sie – in meinem Job, in Begegnungen, an bestimmten Orten – und dann verschwindet sie wieder, und ich fange erneut an zu suchen. Nach der Trennung meiner Eltern lebten wir zunächst im Frauenhaus, später in einer Ein-Zimmer-Wohnung. Daran erinnere ich mich nur vage. Danach zogen wir in ein Sozialbaugebiet. Dort lebten viele Kinder wie ich – Kinder von Gastarbeiter:innen, aber auch deutsche Kinder aus Arbeiterfamilien. Ich kann mich an niemanden erinnern, der dort einen Universitätsabschluss hatte. Wir waren nicht arm. Ich hatte immer genug zu essen und besaß reichlich Kleidung. Irgendwie schaffte es meine Mutter immer, dass es uns an nichts fehlte. Meine Mutter war bildungshungrig, wissbegierig – und sie hat genau das auch in uns geweckt. Sie hat meinen Bruder und mich immer ermutigt, zu lernen, uns zu bilden und die Welt zu verstehen.“ SWANS: „Wer waren Ihre größten Vorbilder?“ Asmahan Gamgami: „Meine größten Vorbilder sind Menschen aus meiner eigenen Familie. An erster Stelle steht meine Mutter – weil sie immer den Eindruck vermittelte, alles im Griff zu haben. Sie war schön, klug, fleißig, fürsorglich und gleichzeitig achtsam mit sich selbst. Diese Mischung aus Stärke und Selbstfürsorge hat mich tief geprägt. Von meinem Bruder bewundere ich seinen Mut, seine Intelligenz und seine Konsequenz darin, nicht wie die anderen sein zu wollen. Er hat mir früh gezeigt, dass man sich nicht anpassen muss, um respektiert zu werden, und dass Denken Freiheit bedeutet. Und dass Integrität alles ist. Meine Tanten sind für mich ein Beispiel für gelebten Mut. Sie haben sich getraut, ihren eigenen Weg zu gehen – ihre Berufung zu verfolgen, statt in einem sicheren, aber unerfüllten Job zu bleiben. Das erfordert Klarheit, Mut, Zuversicht und Selbstvertrauen. Und dann ist da noch meine Urgroßmutter – eine Frau, die gesellschaftliche Erwartungen einfach ignoriert hat. Sie ließ sich vor über hundert Jahren sechsmal scheiden – in einer Zeit, in der schon eine einzige Scheidung ein Skandal war. Diese Unerschrockenheit, dieses „Ich lebe nach meinen Regeln“ beeindruckt mich bis heute. Für mich sind aber auch all die Menschen Vorbilder, denen ich im Leben begegnet bin, die Macht hatten – und verantwortungsvoll damit umgegangen sind. Menschen, die ihre Position genutzt haben, um Gutes zu bewirken, statt sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen. Besonders Führungskräfte, die mit Haltung, Empathie und Klarheit geführt haben, bleiben für mich bis heute unvergessen.“ SWANS: „Auf welche Errungenschaft sind Sie besonders stolz? Haben Sie ein Erfolgsgeheimnis?“ Asmahan Gamgami: „Ich bin stolz darauf, dass ich mich immer wieder getraut habe – auch dann, wenn alle um mich herum aus Angst abgeraten haben. Ich bin stolz darauf, Dinge durchgezogen zu haben, selbst wenn man mich dafür für verrückt hielt. Ich habe jeden Job ernst genommen und mit voller Verantwortung gemacht – egal ob als Putzkraft oder in einer Leitungsfunktion. Ich hatte immer einen hohen Anspruch an meine Arbeit, unabhängig davon, welchen gesellschaftlichen Stellenwert sie hatte. Mein Erfolgsgeheimnis? Ich glaube, dass es kein richtiges Geheimnis gibt, dass ich hier mit jedem teilen könnte, sondern nur mein persönliches Learning, das für mich funktioniert hat: Einfach machen. Sich trauen. Was ist das Schlimmste, das passieren kann? Viele Menschen stehen sich selbst im Weg – durch Zweifel, Angst oder unnötige Blockaden. Ich habe gelernt, dass man manchmal genau die Dinge tun muss, für die andere einen für verrückt halten. Wenn du nie etwas wagst, das Irritation oder Mut erfordert, hast du vielleicht noch nicht richtig gelebt. Und was mir wirklich hilft, ist meine innere Unabhängigkeit. Trotz einer tiefsitzenden Existenzangst hänge ich an nichts. Du könntest mir meinen Job, meinen Titel oder mein Auto nehmen









