Dilan Küçük: „Deutschland ist leider nicht auf Gründerfreundlichkeit oder Diversität ausgelegt.“
Dilan Küçük ist Gründerin und Creative Director der Beauty-Brand NAILD – der ersten Marke, die wiederverwendbare Press-on Nails in dieser Form nach Deutschland gebracht hat. Als dreifache Mutter und Unternehmerin steht Dilan für eine neue Generation von Gründerinnen: sichtbar, lösungsorientiert und nah an der Lebensrealität ihrer Community. Sie setzt sich aktiv für mehr Sichtbarkeit und Chancengleichheit von Menschen mit Migrationsgeschichte in der deutschen Gründerszene ein. Aufgewachsen in Berlin in einer Familie mit Einwanderungsgeschichte und einfachen Verhältnissen, hat sie früh gelernt, sich selbstständig durchzusetzen. Nach ihrer Ausbildung beim Bundesrat und einem berufsbegleitenden Studium in International Management gründete sie 2017 – zunächst nebenberuflich – ihr Unternehmen, das heute über 100.000 Kund:innen europaweit erreicht. Das Gespräch führte Zekiye Tolu. SWANS: „Wie würden Sie Ihre Kindheit beschreiben? Wie sind Sie aufgewachsen?“ Dilan Küçük: „Ich bin in Berlin aufgewachsen – in einfachen Verhältnissen. Meine Mutter war Pflegekraft, mein Vater Busfahrer. Wir lebten zu fünft in einer kleinen Wohnung, was bedeutete, dass ich früh Verantwortung übernehmen musste. Materiell war nicht viel da, aber was ich mitbekommen habe, war Stärke, Pragmatismus und der Drang, sich Dinge selbst beizubringen. Ich gehöre zu einer Generation, in der DIY nicht Trend war, sondern Notwendigkeit. Schon mit 16 Jahren arbeitete ich immer neben der Schule. Und auch davor habe ich in den Ferien in Apotheken Regale eingeräumt oder in der Bäckerei Brötchen aufgebacken. Ich habe früh gelernt, dass man etwas tun muss, wenn man etwas erreichen will.“ SWANS: „Wie sind Sie zu Ihrem Studium gekommen? Hatten Sie relativ schnell eine klare Richtung oder hat sich das entwickelt?“ Dilan Küçük: „Ich hatte nie den Luxus, in Ruhe nach meinem ‘Traumberuf’ zu suchen. Nach dem Abitur erhielt ich einen Ausbildungsplatz im Bundesrat – eine Stelle, die über die Arbeitsagentur gezielt für Bewerber:innen mit Migrationshintergrund ausgeschrieben war, um die Quote zu erfüllen. Mehrere Bewerbungen gingen bis dato ins Leere, trotz Abitur und Überqualifizierung. Ein Studium kam erstmal nicht in Frage, da ich ja Geld verdienen musste. Die Ausbildung war meine einzige Option. Ich habe mich über Leistung bewiesen, die Ausbildung verkürzt und mit der Note 1,0 abgeschlossen. Anschließend erhielt ich eine Begabtenförderung des Bundesverwaltungsamts, mit der ich ein berufsbegleitendes Abendstudium in International Management finanzieren konnte – parallel zu meiner Vollzeitstelle. Damals war ich die erste Chefsekretärin mit türkischem Nachnamen im Büro eines Bundesministeriums. Mein Weg war geprägt von Pflichtgefühl, Disziplin und Ehrgeiz – weniger von Planbarkeit. Doch genau diese Erfahrungen haben mich gelehrt, Verantwortung zu übernehmen, strukturiert zu arbeiten und immer Lösungen zu finden. All das hat mich optimal auf die Selbstständigkeit vorbereitet.“ SWANS: „Gab es Vorbilder, die Sie früh geprägt haben und einen positiven Einfluss auf Sie hatten?“ Dilan Küçük: „Ich hatte keine klassischen unternehmerischen Vorbilder, aber ich bin von Menschen geprägt worden, die mir früh gezeigt haben, was Durchhaltevermögen und innere Stärke bedeuten. Mein Vater ist Akademiker, kam aus der Türkei und arbeitete hier als Busfahrer, um seine Familie zu ernähren. Meine Mutter ist nie zur Schule gegangen, hat sich aber selbst weitergebildet, spricht fließend Deutsch und hat mir beigebracht, Potenzial dort zu sehen, wo andere es nicht erkennen. Und meine Tante hat unter sehr schwierigen Bedingungen promoviert und einen Bundesverband für geflüchtete Frauen gegründet – heute bekannt als DaMigra. Diese Menschen haben mir vorgelebt: Es braucht keine perfekten Voraussetzungen, sondern Mut, Haltung und den festen Willen, seinen Weg zu gehen.“ SWANS: „Was hat Sie dazu bewegt, ein Unternehmen mit Press-On-Nägeln zu gründen?“ Dilan Küçük: „Es war eine ganz persönliche Notlösung. Als Mutter hatte ich keine Zeit mehr fürs Nagelstudio – aber den Wunsch nach gepflegten Nägeln. Gleichzeitig kannte ich aus meiner Jugend die DIY-Nagelkultur sehr gut. Ich habe gemerkt: Es gibt nichts, das beides kombiniert – Qualität, Zeitersparnis, Wiederverwendbarkeit. Und so wurde aus meinem Problem eine Produktidee.“ SWANS: „Nehmen wir an, ich habe eine grandiose Produktidee mit einem klaren Alleinstellungsmerkmal. Womit starte ich und was brauche ich, um erfolgreich zu sein?“ Dilan Küçük: „Mit der Zielgruppe und das Problemverständnis. Bevor du entwickelst, frag dich: Wen willst du erreichen? Welches Problem löst dein Produkt konkret? Und dann: Prototyp bauen, Feedback einsammeln und iterieren. Und ganz wichtig – fang ganz früh mit Community-Aufbau an.“ SWANS: „Um ein Produkt zu launchen braucht es finanzielle Mittel. Welche Möglichkeiten empfehlen Sie, wenn das Budget noch nicht ausreicht?“ Dilan Küçük: „Bootstrapping bedeutet, ein Unternehmen mit eigenen Mitteln und ohne große Investor:innen aufzubauen – genau diesen Weg bin ich selbst gegangen. Man startet klein, spart, investiert klug und finanziert alles Schritt für Schritt aus den eigenen Einnahmen. Aber ich empfehle auch: Schau dir Förderprogramme an, sprich mit Familie und Freund:innen über Unterstützung, teste Vorverkäufe, um erste Einnahmen zu generieren – und ganz wichtig: Kalkuliere realistisch. Wenn du klein anfängst, kannst du später gesund und solide wachsen.“ SWANS: „Was war bisher die größte Herausforderung im Unternehmertum und wie haben Sie diese gelöst?“ Dilan Küçük: „Die Finanzierungsfrage. Ich wurde von drei Banken abgelehnt, ohne mich überhaupt richtig vorstellen zu können. Erst die vierte Bank hat mir zugehört – das war ein Schlüsselmoment. Es war nie leicht, aber ich habe gelernt, dass Hartnäckigkeit und Klarheit im Geschäftsmodell überzeugen können.“ SWANS: „Hatten Sie als Frau mit Einwanderungsgeschichte bisher mehr Hürden auf Ihrem Karriereweg? Wie sind Sie damit umgegangen?“ Dilan Küçük: „Ja. Nicht nur im Geschäftsleben – auch davor. Ich musste mich oft doppelt beweisen, wurde unterschätzt, nie von allein eingeladen. Ich habe gelernt, dass du dich selbst sichtbar machen musst – und dass Leistung allein leider nicht immer reicht. Aber genau deshalb erzähle ich meine Geschichte heute öffentlich.“ SWANS: „Wir leben in einem bürokratischen Land. Gab es auch Momente, in denen Sie an der Bürokratie verzweifelt sind? Was würde eine Gründung erleichtern?“ Dilan Küçük: „Ja, unzählige Momente. Bürokratie ist in Deutschland leider nicht auf Gründerfreundlichkeit ausgelegt – und schon gar nicht auf Diversität. Ich wünsche mir mehr digitale, niedrigschwellige Angebote und echte Beratung für Menschen, die keinen akademischen Hintergrund mitbringen. Ich komme aus der Verwaltung und weiß genau wie ich mich wohin wenden muss, wenn ich ein Problem habe und auch, wie ich Bescheide und Anträge verstehen muss – ich sehe