Vorbilder

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Dilan Küçük: „Deutschland ist leider nicht auf Gründerfreundlichkeit oder Diversität ausgelegt.“

Dilan Küçük ist Gründerin und Creative Director der Beauty-Brand NAILD – der ersten Marke, die wiederverwendbare Press-on Nails in dieser Form nach Deutschland gebracht hat. Als dreifache Mutter und Unternehmerin steht Dilan für eine neue Generation von Gründerinnen: sichtbar, lösungsorientiert und nah an der Lebensrealität ihrer Community. Sie setzt sich aktiv für mehr Sichtbarkeit und Chancengleichheit von Menschen mit Migrationsgeschichte in der deutschen Gründerszene ein. Aufgewachsen in Berlin in einer Familie mit Einwanderungsgeschichte und einfachen Verhältnissen, hat sie früh gelernt, sich selbstständig durchzusetzen. Nach ihrer Ausbildung beim Bundesrat und einem berufsbegleitenden Studium in International Management gründete sie 2017 – zunächst nebenberuflich – ihr Unternehmen, das heute über 100.000 Kund:innen europaweit erreicht. Das Gespräch führte Zekiye Tolu. SWANS: „Wie würden Sie Ihre Kindheit beschreiben? Wie sind Sie aufgewachsen?“ Dilan Küçük: „Ich bin in Berlin aufgewachsen – in einfachen Verhältnissen. Meine Mutter war Pflegekraft, mein Vater Busfahrer. Wir lebten zu fünft in einer kleinen Wohnung, was bedeutete, dass ich früh Verantwortung übernehmen musste. Materiell war nicht viel da, aber was ich mitbekommen habe, war Stärke, Pragmatismus und der Drang, sich Dinge selbst beizubringen. Ich gehöre zu einer Generation, in der DIY nicht Trend war, sondern Notwendigkeit. Schon mit 16 Jahren arbeitete ich immer neben der Schule. Und auch davor habe ich in den Ferien in Apotheken Regale eingeräumt oder in der Bäckerei Brötchen aufgebacken. Ich habe früh gelernt, dass man etwas tun muss, wenn man etwas erreichen will.“ SWANS: „Wie sind Sie zu Ihrem Studium gekommen? Hatten Sie relativ schnell eine klare Richtung oder hat sich das entwickelt?“ Dilan Küçük: „Ich hatte nie den Luxus, in Ruhe nach meinem ‘Traumberuf’ zu suchen. Nach dem Abitur erhielt ich einen Ausbildungsplatz im Bundesrat – eine Stelle, die über die Arbeitsagentur gezielt für Bewerber:innen mit Migrationshintergrund ausgeschrieben war, um die Quote zu erfüllen. Mehrere Bewerbungen gingen bis dato ins Leere, trotz Abitur und Überqualifizierung. Ein Studium kam erstmal nicht in Frage, da ich ja Geld verdienen musste. Die Ausbildung war meine einzige Option. Ich habe mich über Leistung bewiesen, die Ausbildung verkürzt und mit der Note 1,0 abgeschlossen. Anschließend erhielt ich eine Begabtenförderung des Bundesverwaltungsamts, mit der ich ein berufsbegleitendes Abendstudium in International Management finanzieren konnte – parallel zu meiner Vollzeitstelle. Damals war ich die erste Chefsekretärin mit türkischem Nachnamen im Büro eines Bundesministeriums. Mein Weg war geprägt von Pflichtgefühl, Disziplin und Ehrgeiz – weniger von Planbarkeit. Doch genau diese Erfahrungen haben mich gelehrt, Verantwortung zu übernehmen, strukturiert zu arbeiten und immer Lösungen zu finden. All das hat mich optimal auf die Selbstständigkeit vorbereitet.“ SWANS: „Gab es Vorbilder, die Sie früh geprägt haben und einen positiven Einfluss auf Sie hatten?“ Dilan Küçük: „Ich hatte keine klassischen unternehmerischen Vorbilder, aber ich bin von Menschen geprägt worden, die mir früh gezeigt haben, was Durchhaltevermögen und innere Stärke bedeuten. Mein Vater ist Akademiker, kam aus der Türkei und arbeitete hier als Busfahrer, um seine Familie zu ernähren. Meine Mutter ist nie zur Schule gegangen, hat sich aber selbst weitergebildet, spricht fließend Deutsch und hat mir beigebracht, Potenzial dort zu sehen, wo andere es nicht erkennen. Und meine Tante hat unter sehr schwierigen Bedingungen promoviert und einen Bundesverband für geflüchtete Frauen gegründet – heute bekannt als DaMigra. Diese Menschen haben mir vorgelebt: Es braucht keine perfekten Voraussetzungen, sondern Mut, Haltung und den festen Willen, seinen Weg zu gehen.“ SWANS: „Was hat Sie dazu bewegt, ein Unternehmen mit Press-On-Nägeln zu gründen?“ Dilan Küçük: „Es war eine ganz persönliche Notlösung. Als Mutter hatte ich keine Zeit mehr fürs Nagelstudio – aber den Wunsch nach gepflegten Nägeln. Gleichzeitig kannte ich aus meiner Jugend die DIY-Nagelkultur sehr gut. Ich habe gemerkt: Es gibt nichts, das beides kombiniert – Qualität, Zeitersparnis, Wiederverwendbarkeit. Und so wurde aus meinem Problem eine Produktidee.“ SWANS: „Nehmen wir an, ich habe eine grandiose Produktidee mit einem klaren Alleinstellungsmerkmal. Womit starte ich und was brauche ich, um erfolgreich zu sein?“ Dilan Küçük: „Mit der Zielgruppe und das Problemverständnis. Bevor du entwickelst, frag dich: Wen willst du erreichen? Welches Problem löst dein Produkt konkret? Und dann: Prototyp bauen, Feedback einsammeln und iterieren. Und ganz wichtig – fang ganz früh mit Community-Aufbau an.“ SWANS: „Um ein Produkt zu launchen braucht es finanzielle Mittel. Welche Möglichkeiten empfehlen Sie, wenn das Budget noch nicht ausreicht?“ Dilan Küçük: „Bootstrapping bedeutet, ein Unternehmen mit eigenen Mitteln und ohne große Investor:innen aufzubauen – genau diesen Weg bin ich selbst gegangen. Man startet klein, spart, investiert klug und finanziert alles Schritt für Schritt aus den eigenen Einnahmen. Aber ich empfehle auch: Schau dir Förderprogramme an, sprich mit Familie und Freund:innen über Unterstützung, teste Vorverkäufe, um erste Einnahmen zu generieren – und ganz wichtig: Kalkuliere realistisch. Wenn du klein anfängst, kannst du später gesund und solide wachsen.“ SWANS: „Was war bisher die größte Herausforderung im Unternehmertum und wie haben Sie diese gelöst?“ Dilan Küçük: „Die Finanzierungsfrage. Ich wurde von drei Banken abgelehnt, ohne mich überhaupt richtig vorstellen zu können. Erst die vierte Bank hat mir zugehört – das war ein Schlüsselmoment. Es war nie leicht, aber ich habe gelernt, dass Hartnäckigkeit und Klarheit im Geschäftsmodell überzeugen können.“ SWANS: „Hatten Sie als Frau mit Einwanderungsgeschichte bisher mehr Hürden auf Ihrem Karriereweg? Wie sind Sie damit umgegangen?“ Dilan Küçük: „Ja. Nicht nur im Geschäftsleben – auch davor. Ich musste mich oft doppelt beweisen, wurde unterschätzt, nie von allein eingeladen. Ich habe gelernt, dass du dich selbst sichtbar machen musst – und dass Leistung allein leider nicht immer reicht. Aber genau deshalb erzähle ich meine Geschichte heute öffentlich.“ SWANS: „Wir leben in einem bürokratischen Land. Gab es auch Momente, in denen Sie an der Bürokratie verzweifelt sind? Was würde eine Gründung erleichtern?“ Dilan Küçük: „Ja, unzählige Momente. Bürokratie ist in Deutschland leider nicht auf Gründerfreundlichkeit ausgelegt – und schon gar nicht auf Diversität. Ich wünsche mir mehr digitale, niedrigschwellige Angebote und echte Beratung für Menschen, die keinen akademischen Hintergrund mitbringen. Ich komme aus der Verwaltung und weiß genau wie ich mich wohin wenden muss, wenn ich ein Problem habe und auch, wie ich Bescheide und Anträge verstehen muss – ich sehe

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Prof. Dr. Riem Spielhaus: „Ich konnte das Schulgelände nicht betreten, ohne im Mülleimer zu landen.“

Frau Prof. Dr. Riem Spielhaus ist Professorin für Islamwissenschaft an der Georg-August-Universität Göttingen und leitet die Abteilung Wissen im Umbruch am Leibniz-Institut für Bildungsmedien | Georg-Eckert-Institut in Braunschweig. Sie war postdoc fellow am Center for European Islamic Thought der Universität Kopenhagen (Dänemark) und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Islam und Recht in Europa der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Sie promovierte an der Humboldt-Universität zu Berlin, ihre im Ergon-Verlag publizierte Dissertation zu Islamdebatten und Selbstpositionierungen von Muslim:innen in Deutschland wurde mit dem Augsburger Wissenschaftspreis für Interkulturelle Studien 2010 ausgezeichnet. Sie studierte Islamwissenschaften und Afrikawissenschaften an der Humboldt-Universität in Berlin. Ihre Publikationen befassen sich mit islamischer Religionspraxis und der Moscheelandschaft in Deutschland, mit der Wissensproduktion zu Islam und Muslim:innen in Europa sowie mit Diversität, Diskriminierung und Bildung. Seit 2016 forscht und publiziert sie vor allem zur Darstellung von Minderheiten und Diskriminierten in Schulbüchern. Das Gespräch führte Zekiye Tolu.   SWANS: „Wie würden Sie Ihre Kindheit beschreiben? Wie sind Sie aufgewachsen?“   Prof. Dr. Riem Spielhaus: „Ich bin in der DDR geboren und aufgewachsen – oder besser gesagt: Nicht ich habe das Land verlassen, sondern das Land hat mich verlassen. Meine Familie war schon immer ein bisschen anders. Mein Vater, ein Karikaturist, und meine Mutter, eine Sprachwissenschaftlerin, passten nicht in die klassische Norm. Bei uns gab es kein Abendessen um Punkt 18 Uhr, aber dafür immer Besuch. Unsere Wohnung war ein Ort der Begegnung – für Freund:innen meiner Geschwister, die Trost suchten, für Bekannte meiner Eltern aus aller Welt.   Die Welt war ohnehin immer präsent in unserer Familie. Mein Vater kam aus Ägypten, meine Mutter kam in Schweden zur Welt, weil ihre Eltern vor den Nazis dorthin geflohen waren. Doch laut Statistik gilt sie nicht als Migrantin, weil sie ja bereits 1946 nach Deutschland gekommen war. Ein Beispiel dafür, wie offizielle Kategorien Migration oft nicht erfassen. Ihre Forschung zu ostafrikanischen Sprachen hat mich geprägt, ebenso wie die Fragen, die mir zu meiner eigenen Herkunft gestellt wurden. Mein Name, meine Familie – all das hat mich neugierig gemacht, so dass ich schließlich Islamwissenschaft und Afrikawissenschaft studierte, um mehr zu verstehen.   Ironischerweise wusste ich lange kaum etwas über die erste Kindheitsjahre meiner Mutter. Erst als ich etwas mit 40 in Stockholm zu Besuch war, fragte ich sie, wo genau sie in Stockholm lebte – und war überrascht, denn sie in Uppsala aufgewachsen ist. Es war ein Aha-Moment: Was ich über meine Familie wusste, war stark von äußeren Zuschreibungen bestimmt. Die Fragen, die mir immer wieder zu meinem ägyptischen Vater gestellt wurden, hatten meine Aufmerksamkeit gelenkt.   Heute arbeite ich am Leibniz-Institut für Bildungsmedien in Braunschweig und beschäftige mich genau mit solchen Fragen: Wie prägen Schulbücher unser Bild von Migration, Religion und Identität? Welche Geschichten werden erzählt – und welche nicht? Mein eigener Weg hat mir gezeigt, wie entscheidend es ist, welche Perspektiven sichtbar gemacht werden. Denn sie beeinflussen, ob wir uns als Teil der Gesellschaft wahrnehmen – oder als Ausnahme.“   SWANS: „Haben Sie Rassismus in der DDR erlebt und wie sind Sie damit umgegangen?“   Prof. Dr. Riem Spielhaus: „Ich habe in der DDR-Rassismus erlebt, besonders in der Schule. In der zweiten Klasse hatte ich ein ganz schlechtes Schuljahr. Ich kam regelmäßig zu spät zum Unterricht, weil ich vorher das Schulgelände nicht betreten konnte, ohne dass ich im Mülleimer oder in der Garderobe landete. Meine Lehrerin ignorierte es – oder duldete es bewusst. Erst als meine Mutter davon erfuhr und die Eltern der anderen Kinder anrief, hörte es plötzlich auf. Die Eltern wollten nicht, dass sich ihre Kinder rassistisch und übergriffig verhalten, sprachen mit ihnen und völlig überraschend hörte es damit auf. Rückblickend rätsele ich heute noch: Warum hatte ich nicht früher etwas gesagt?   Gleichzeitig gab es für mich einen Ort, der vollkommen anders war: Ein Musikensemble, gegründet von der jüdischen Kommunistin Anni Sauer, die vor den Nazis fliehen musste und in der Sowjetunion 18 Jahre lang in einem Gulag lebte. Hier war Vielfalt selbstverständlich –Kinder mit russischen, lateinamerikanischen oder afrikanischen Eltern wurden hier natürlich nicht gehänselt. Wir sangen Lieder in verschiedenen Sprachen, lernten von Künstler:innen aus aller Welt und erlebten eine rassismusfreie Gemeinschaft.   Die DDR propagierte offiziell Völkerfreundschaft, doch Rassismus existierte. Man konnte aber nicht darüber sprechen, weil er nicht ins sozialistische Selbstbild passte. Es gab kaum Raum, um über Diskriminierung zu sprechen, weil sie offiziell nicht existierte.   Jahre später, als meine eigene Tochter eingeschult wurde, holte mich diese Erfahrung wieder ein. Die Angst, sie könnte dasselbe erleben, war plötzlich präsent. Ich wollte sicherstellen, dass sie weiß: Sie kann immer mit mir sprechen. Denn ich habe gelernt, dass es einen entscheidenden Unterschied macht, ob Rassismus benannt wird – oder ob Betroffene damit allein bleiben.“   SWANS: „Haben Sie die DDR rassistischer als den Westen wahrgenommen?“   Prof. Dr. Riem Spielhaus: „Die DDR war nicht per se rassistischer als der Westen. Rassismus gibt es überall in Deutschland – er ist kein spezifisch ostdeutsches Problem. Westdeutsche Medien zeichnen oft ein verzerrtes Bild, indem sie den Osten besonders kritisch betrachten, während ähnliche Phänomene im Westen weniger thematisiert werden.   Rechtsextreme Wahlergebnisse in Ostdeutschland werden oft isoliert betrachtet, dabei gibt es auch im Westen Orte mit extrem hohen AfD-Werten. Zudem beeinflussen soziale und historische Faktoren den Umgang mit Rassismus: In der DDR gab es weniger Kontakt zu Migrant:innen, was Vorurteile verstärken konnte, aber westdeutsche Rechtsradikale sind seit der Wende in Ostdeutschland aktiv und haben erheblich zur Problematik beigetragen.   Kurz gesagt: Rassismus ist ein gesamtdeutsches Problem – kein ostdeutsches Alleinstellungsmerkmal.“   SWANS: „Die Medien haben eine große Macht, insbesondere wenn es darum geht, bestimmte Gruppen darzustellen. Oft wird in den Nachrichten ein negatives Bild von muslimischen oder religiösen Gemeinschaften gezeichnet. Wie kommt es dazu und wie sollte man damit umgehen?“   Prof. Dr. Riem Spielhaus: „Um zu verstehen, wie es dazu kommt, müssen wir uns die Funktion von negativen Bildern von Gruppen, also von Stereotypen, anschauen. Wir alle sind von Vorurteilen und Stereotypen geprägt, die wir über Jahre hinweg internalisieren, selbst wenn wir wissen, dass diese eigentlich nichtzutreffend sind. Selbst wenn jemand Rassismus oder Chauvinismus erfahren hat, bedeutet das nicht, dass diese Person nicht auch rassistische oder diskriminierende Haltungen gegenüber anderen entwickeln kann. Auch

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Prof. Dr. Abiola Sarnecki: „Ich bin stolz, eine Schwarze Frau zu sein, und lasse mir diesen Stolz nicht nehmen.“ 

Prof. Dr. Abiola Sarnecki ist Professorin für Organisation und Personal an der Wiesbaden Business School der Hochschule RheinMain (HSRM). Zudem ist sie Diversitäts- und Antidiskriminierungsbeauftragte der HSRM und Gastprofessorin an der Toulouse School of Management in Frankreich. Für die wissenschaftliche Karriere hatte sie sich nach 15 Jahren als Unternehmensberaterin entschieden und dafür an der EBS-Universität für Wirtschaft und Recht in Organizational Behavior promoviert. Sie hat einen Master in Electronic Engineering vom Kings‘ College in London (UK), einen MBA vom Imperial College London (UK) und einen Bachelor in Electrical and Electronic Engineering von der Universität Lagos (Nigeria). Das Gespräch führte Zekiye Tolu. SWANS: „Wie würden Sie Ihre Kindheit beschreiben? Wie sind Sie aufgewachsen?“ Prof. Dr. Abiola Sarnecki: „Glücklich und geborgen. Meine Eltern waren beide Professoren an der Universität Lagos (Nigeria) und wir haben, zusammen mit meinen zwei Schwestern und meinen Bruder, auf dem Campus gelebt. Der erweiterte Familienkreis mit Großeltern, Onkeln, Tanten, Cousins und Cousinen war auch sehr wichtig für uns. Ich habe viele schöne Erinnerungen an meine Kindheit.“ SWANS: „Gab es Vorbilder, die Sie früh geprägt haben und einen positiven Einfluss auf Sie hatten?“ Prof. Dr. Abiola Sarnecki: „Meine Mutter und meine Großmutter haben mir gezeigt, dass Frauen stark, selbstständig und beruflich erfolgreich sein können. Mein Vater war eine starke Persönlichkeit und hat uns nicht dominiert, sondern immer unterstützt. Durch meine Eltern habe ich Werte wie Empathie, Integrität und Selbstbewusstsein gelernt.“ SWANS: „Wie sind Sie zum heutigen Beruf gekommen?“ Prof. Dr. Abiola Sarnecki: „Nach über 15 Jahren in der Unternehmensberatung und im Personalwesen gelangte ich nach intensiver Selbstreflexion zu der Erkenntnis, dass ich bereit für eine neue Herausforderung war – auch wenn mir zunächst nicht genau klar war, in welche Richtung ich mich entwickeln wollte. In einem Gespräch mit einem Freund, der heute mein Mentor ist, teilte ich ihm mit, dass ich mit dem Gedanken spielte, zu promovieren, mir jedoch unsicher war, ob ich die erforderliche Zeit und Ressourcen dafür aufbringen konnte oder wollte. Er lud mich daraufhin zu einem Forschungsworkshop ein. Die Auseinandersetzung mit wissenschaftlicher Forschung faszinierte mich so sehr, dass ich mich entschied, meine damalige Stelle zu kündigen und die Promotion zu beginnen. Nach Abschluss meiner Promotion entschied ich mich bewusst für eine akademische Laufbahn. Im Jahr 2021 erhielt ich schließlich meine Berufung zur Professorin.“ SWANS: „Hatten Sie Vorbilder, die Sie auf Ihrem Weg zu Ihrer Berufslaufbahn inspiriert haben?“ Prof. Dr. Abiola Sarnecki: „Ja, mehrere. Meine Eltern, eine ehemalige Chefin und meine ehemaligen Betreuer:innen aus meiner Promotion. “ SWANS: „Haben Sie Rassismus erfahren? Wenn ja, wie sind Sie damit umgegangen?“ Prof. Dr. Abiola Sarnecki: „Ja, solche Erfahrungen mache ich immer wieder – oft subtil, aber dennoch spürbar. Ein Beispiel ist, wenn ich mit meiner Assistentin eine Konferenz besuche und häufig selbst für die Assistentin gehalten werde. Oder am Flughafen, wenn ich als einzige Passagierin direkt nach dem Aussteigen für eine Passkontrolle ausgewählt werde. Wie ich damit umgehe? Ich bin stolz darauf, eine Schwarze Frau zu sein, und lasse mir diesen Stolz von niemandem nehmen. Wenn ich der Meinung bin, dass es etwas an der Situation ändern kann, spreche ich es an. Und wenn es erforderlich ist, scheue ich mich nicht, die Angelegenheit weiter zu eskalieren.“ SWANS: „Warum brauchen wir aus Ihrer Sicht Vielfalt und Menschen mit Einwanderungsgeschichte in der Berufswelt?“ Prof. Dr. Abiola Sarnecki: „Vielfalt – sei es in Bezug auf Geschlecht, ethnischen Hintergrund, sozioökonomischen Status, sexuelle Orientierung, Behinderung oder Neurodiversität – spielt eine entscheidende Rolle in der Arbeitswelt. Die unterschiedlichen Perspektiven, die sie mit sich bringt, fördern die Unternehmensleistung, indem sie zu innovativeren Produkten, kreativeren Entscheidungsprozessen und einer höheren Arbeitszufriedenheit beitragen. * Allerdings reicht Vielfalt allein nicht aus, um nachhaltige positive Effekte zu erzielen. Ebenso entscheidend ist ein starkes Gefühl der Zugehörigkeit (Belonging). Dieses beschreibt das Maß, in dem Individuen ihre einzigartigen Eigenschaften einbringen können, ohne dabei das Gefühl zu haben, ausgeschlossen oder nicht vollständig akzeptiert zu werden. Deshalb ist es essenziell, dass Unternehmen eine inklusive Unternehmenskultur fördern, in der Vielfalt nicht nur vorhanden, sondern auch wertgeschätzt und unterstützt wird.“ SWANS: „Welche Inhalte Ihrer Arbeit möchten Sie Student:innen besonders ans Herz legen?“ Prof. Dr. Abiola Sarnecki: „Drei Dinge liegen mir besonders am Herzen: Ethisches Verhalten ist essenziell und sollte die Grundlage jedes Handelns bilden. Vielfalt ist eine Bereicherung und bringt wertvolle Perspektiven mit sich. Unterschiedliche soziale und kulturelle Hintergründe führen zu vielfältigen Sichtweisen. Diese sind in den meisten Fällen weder richtig noch falsch – sie sind einfach verschieden und eröffnen neue Denkansätze.“ SWANS: „Welche Stärken erkennen Sie bei Frauen mit Einwanderungsgeschichte? Welche Besonderheiten bringen sie für die Berufswelt mit?“ Prof. Dr. Abiola Sarnecki: „Resilienz – die Fähigkeit, trotz Rückschlägen und mangelnder Anerkennung kontinuierlich sein Bestes zu geben. Viele Frauen mit Einwanderungsgeschichte wissen, dass sie in gewisser Weise Vorreiterinnen sind. Sie tragen diese Verantwortung bewusst und setzen sich dafür ein, den Weg für zukünftige Generationen zu ebnen.“ SWANS: „Was ist für ein gelungenes Leadership für Frauen entscheidend?“ Prof. Dr. Abiola Sarnecki: „Authentisch bleiben, die eigene Neugier bewahren und kontinuierlich in die persönliche Entwicklung investieren. Für die eigenen Ideen werben, andere unterstützen und als Mentorin eine inspirierende Rolle übernehmen.“ SWANS: „Wir leben aktuell in sehr bewegenden Zeiten. Wie gehen Sie mit diesen Ereignissen um?“ Prof. Dr. Abiola Sarnecki: „Ich versuche, mich mental zu schützen und solche Erfahrungen nicht persönlich an mich heranzulassen. Als Diversitätsbeauftragte der Hochschule setze ich mich aktiv dafür ein, das Bewusstsein für Vielfalt und Antidiskriminierung zu schärfen. Mein Ziel ist es, ein inklusives Umfeld zu fördern und Hochschulangehörige zu unterstützen – sowohl diejenigen, die selbst Diskriminierung erfahren haben, als auch jene, die sie beobachtet haben.“ SWANS: „Auf welche gemeisterte Hürde sind Sie besonders stolz und wie haben Sie diese überwunden?“ Prof. Dr. Abiola Sarnecki: „Nach 15 Jahren Berufserfahrung und einer längeren Auszeit, in der ich meine Kinder großgezogen habe, kehrte ich als Studentin an die Universität zurück, um meine Promotion zu beginnen. Diese Zeit war äußerst herausfordernd, doch ich habe meine Promotion mit summa cum laude – der bestmöglichen Note – abgeschlossen. Darauf bin ich sehr stolz. Trotz Rückschlägen habe ich nie aufgegeben. Selbst in Momenten,

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Anja Gabriel: „Politik ist der Bereich mit der größten Geschlechterungleichheit.“   

Anja Gabriel ist internationale Expertin für digitale Diplomatie und strategische politische Kommunikation und berät internationale Organisationen, politische Institutionen und Politiker:innen bei der Entwicklung und Optimierung digitaler Strategien. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt in der EU-Kommunikation: Von 2019 bis Anfang 2024 beriet sie zunächst EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und anschließend den ehemaligen EU-Ratspräsidenten Charles Michel bei der Ausrichtung und Aufbau ihrer digitalen Kommunikation. Von 2016 bis 2018 unterstützte sie die digitale Kampagne der CDU und Bundeskanzlerin a.D. Angela während des Bundestagswahlkampfs 2017. Weitere Stationen absolvierte sie u.a. im Deutschen Bundestag, bei der PR-Agentur Hill & Knowlton, dem United Nations Development Programme (UNDP) in New York sowie bei der Deutschen Botschaft in Washington D.C. Sie studierte Medien-, Kommunikations- und Kulturwissenschaften in Deutschland und in Australien. Das Gespräch führte Zekiye Tolu.   SWANS: „Wie würdest du deine Kindheit beschreiben? Wie und wo bist du aufgewachsen?“   Anja Gabriel: „Ich bin Ende 1981 in Ahlen geboren, einer mittelgroßen Stadt im westfälischen Münsterland. Meine Eltern sind im Jahr 1976 in jungen Jahren aus der Südost-Türkei nach Deutschland gekommen. Ich bin die Älteste von fünf Geschwistern.   Meine ersten Kindheitserinnerungen sind stark von unserer aramäischen Kultur geprägt. Wir haben als Gemeinschaft in derselben Nachbarschaft gelebt, und unsere kulturellen sowie religiösen Bindungen durch die syrisch-orthodoxe Kirche waren sehr eng.   Besonders prägend war meine Schulzeit bis zum Abitur an einem bischöflichen Gymnasium in meiner Heimatstadt. Zwar habe ich keine großen Vorfälle erlebt, doch die sozialen und äußerlichen Unterschiede wurden mir in diesen Jahren besonders bewusst.   Ich würde sagen, dass ich in einfachen Verhältnissen aufgewachsen bin, aber dennoch eine schöne Kindheit und Jugend hatte. In zwei Kulturen groß zu werden, betrachte ich als etwas Positives und nehme aus beiden Gesellschaften das Beste für mich mit.“   SWANS: „Gab es Vorbilder, die dich früh geprägt haben und einen positiven Einfluss auf dich hatten?“   Anja Gabriel: „Mein größtes Vorbild ist ein familiäres Beispiel: Meine Mutter besitzt eine besondere Stärke, die mich mein Leben lang geprägt hat.   Während meiner Schulzeit war ein bestimmter Deutschlehrer eine große Inspiration für mich. Seine motivierende Art hat mich nachhaltig beeindruckt.   Während meines Studiums und meiner Praktika fehlte es leider an weiblichen Mentorinnen, die mir Wege und Möglichkeiten aufzeigen konnten. Dafür gibt es jedoch einige wenige Politikerinnen, deren Leadership ich sehr schätze.“   SWANS: „Was hat dich dazu bewegt ins Ausland zu gehen und dort zu studieren?“   Anja Gabriel: „Ich bin mit zwei Kulturen und zwei Sprachen aufgewachsen. Ich habe Wurzeln im Nahen Osten, bin aber auch deutsch und europäisch geprägt. Die Liebe und Neugierde für fremde Kulturen und Sprachen war aufgrund meines interkulturellen Backgrounds schon immer vorhanden.   Diese Offenheit spiegelt sich auch in meiner Studienwahl wider: Ich habe Medien-, Kommunikations- und Kulturwissenschaften studiert und einen sprachlichen Fokus auf Englisch gelegt. Es war für mich daher fast selbstverständlich, ins englischsprachige Ausland zu gehen.   Die Wahl fiel auf Sydney, da ich mit Anfang 20 diesen gesamten Prozess komplett allein durchlaufen wollte. Das war eine sehr gute Erfahrung – sowohl für meine akademische Ausbildung, als auch für meinen persönlichen Werdegang und mein Wachstum.“   SWANS: „Wie bist du zu deinem heutigen Beruf gekommen?“   Anja Gabriel: „Am Ende meines Master-Studiums der Medien- und Kulturwissenschaften waren drei internationale Ereignisse besonders wegweisend: Der Gaza-Krieg 2008/2009, die Proteste im Iran nach der Präsidentschaftswahl 2009 und die Arabellion Anfang der 2010er Jahre. In diesen Jahren geschah medial etwas Spannendes mit dem Aufkommen neuer digitaler Medien wie Twitter. Diese Wechselwirkung fand ich faszinierend, und so widmete ich das Thema meiner Masterarbeit dem Gaza-Konflikt 2008/2009. Dabei untersuchte ich die Rolle sozialer Medien in diesem Krieg.   Das führte mich zu meinem Forschungsprojekt zum Thema ‘Digitale Diplomatie’, das ich in Zusammenarbeit mit der Deutschen Welle und dem Institut für Auslandsbeziehungen durchführte.   So bin ich zu meiner beruflichen Nische gekommen, die sich bis heute, wie ein roter Faden durch meine Laufbahn zieht: Die Schnittstelle zwischen internationaler Politik, digitaler Medien und Technologie.“   SWANS: „Du berätst u.a. Politiker:innen. Warum hast du dich für diese Branche entschieden?“   Anja Gabriel: „Studien zeigen, dass Politik weltweit der Bereich mit der größten Geschlechterungleichheit ist. Frauen sind insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik weiterhin stark unterrepräsentiert. Zudem sind Frauen, die ein politisches Amt oder Mandat ausüben, häufig Hate Speech und Anfeindungen im digitalen Raum ausgesetzt.   Daher ist es mir ein besonderes Anliegen, vor allem Politikerinnen dabei zu unterstützen, hilfreiche Kommunikationsstrategien zu entwickeln, sich gut zu positionieren und Sichtbarkeit für sich und ihre Arbeit zu schaffen.“   SWANS: „Was nimmst du aus deiner Berufserfahrung aus dem Ausland mit? Was können wir in Deutschland von anderen Ländern lernen?“   Anja Gabriel: „Ich habe neben Australien mehrmals Zeit in den USA verbracht und fühle mich bis heute sehr stark mit diesem Land verbunden. Mein erster Aufenthalt in Washington D.C. im Rahmen einer Hospitation war ein echter Augenöffner.   Gerade im Business-Kontext schätze ich das Mindset der Amerikaner:innen, das von Optimismus und Offenheit geprägt ist. In Deutschland haben wir oft die Tendenz, Dinge so zu machen, wie wir sie bislang immer gemacht haben. Das erschwert Veränderung und Innovation.   In den USA herrscht hingegen eine andere Fehlerkultur, geprägt vom ‘Trial-and-Error’-Prinzip. Fehler werden dort als Lernchancen gesehen, während sie in Deutschland häufig als Versagen wahrgenommen werden.   Mehr Mut zur Disruption würde uns helfen, Entwicklungen und Transformationen schneller voranzutreiben. Daher: Weniger analysieren und über Themen debattieren, dafür mehr machen.“   SWANS: „Was hat dich die Politik bisher gelehrt? Was hat dich möglicherweise überrascht oder sogar enttäuscht?“   Anja Gabriel: „Je weiter es in der Politik nach oben geht, desto dünner wird die Luft. Der Politikbetrieb in Deutschland und der EU, wo ich im letzten Jahrzehnt viel Zeit verbracht habe, war für mich eine wertvolle Schule und Vorbereitung.   In diesem Umfeld lernt man, langfristig und strategisch zu denken. Wer etwas verändern möchte, wird schnell erkennen, dass Alleingänge nicht zielführend sind – in der Politik funktioniert Wandel nur durch Allianzen und Kooperationen.   Mit Bezug auf Kommunikation hat sich in dieser Zeit mein Blick für die Macht der Narrative geschärft.“   SWANS: „Ich kann mir vorstellen, dass du in der Politik ein starkes Rückgrat brauchst. Welche Voraussetzungen musst du erfüllen, um dem möglichen Gegenwind standzuhalten?“   Anja

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Dr. Hedda Ofoole Knoll: „Agiert strategisch – wie beim Schach!“

Dr. Hedda Ofoole Knoll ist General Director beim Diversity-Unternehmen Employers For Equality. Zuvor leitete sie als Geschäftsführerin das soziale Jobportal tbd*– The Changer GmbH. Hier erarbeitete sie innovative Formate, insbesondere zu Genderfragen und Anti-Rassismus in der Personalpolitik und arbeitete u.a. mit der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) zusammen, dem Goethe Institut und der NGO Oxfam. Die ausgebildete Kommunikations- und Verhaltenstrainerin gibt Workshops, u.a. zu Anti-Diskriminierung und „Belonging“ (Zugehörigkeit). Sie berät Unternehmen in Diskriminierungsvorfällen und hält Vorträge und Keynotes. Das Gespräch führte Zekiye Tolu.    SWANS: „Mit welchen Werten bist du aufgewachsen?“  Dr. Hedda Ofoole Knoll: „Ich bin in Deutschland geboren und als Schwarzes Mädchen in Berlin-Kreuzberg aufgewachsen. Dadurch hatte ich eine Community, in der ich mich gut zurechtgefunden habe. Für mich war von Anfang an klar, dass man sich für Gerechtigkeit einsetzen muss. So bin ich aufgewachsen. Durch meine Eltern, die sich für Verbände und Demonstrationen engagierten, habe ich diesen Wert verinnerlicht. Die Bereitschaft, sich für wichtige Themen einzusetzen und einen geschützten Raum zu schaffen, waren Werte, die meinen Eltern besonders am Herzen lagen.“  SWANS: „Gab es Vorbilder, die dich bestärkt haben?“  Dr. Hedda Ofoole Knoll: „Meine Eltern waren meine Vorbilder, wenn es um politisches und soziales Engagement ging. Es waren weniger berühmte Persönlichkeiten oder Koryphäen, die mich inspirierten, sondern vielmehr das Netzwerk, in dem ich gelebt und gewohnt habe.  Für mich war besonders die Art des Zusammenhalts prägend – wie migrantische Personen auf uns Kinder aufgepasst haben, bevor meine Eltern von der Arbeit nach Hause kamen. Das Vorbildliche daran war der Gemeinschaftssinn, der Zusammenhalt und das Gefühl, getragen zu werden. Dieses Netzwerk ist für mich ein Vorbild fürs Leben geworden.“  SWANS: „Wie bist du zu deinem Studium gekommen?“  Dr. Hedda Ofoole Knoll: „Mein Vater ist promovierter Ingenieur an der TU Berlin, und ich habe mir überlegt, wie ich das System aktiv mitgestalten kann. Um mich von meinen Eltern, die auf die Straße gegangen sind und demonstriert haben, abzugrenzen, wollte ich das Wirtschaftssystem von innen heraus beeinflussen.  Durch meine Mutter habe ich erfahren, wie unfair die Strukturen waren, insbesondere in der Arbeitswelt. Meine Mutter konnte das Abitur an der Abendschule nicht abschließen. Da sie kein Abitur vorweisen konnte, wurde sie trotz ihres umfangreichen Wissens und ihrer hervorragenden Arbeit mit Kindern schlechter bezahlt. Diese Ungerechtigkeit wollte ich ändern. Es war für mich klar: Ich möchte in eine Position gelangen, in der ich mitentscheiden und Einfluss auf die Strukturen nehmen kann, um etwas zu verändern. Aus diesem Grund habe ich zunächst den Studiengang Betriebswirtschaftslehre gewählt, der genau dies ermöglicht, und anschließend in Wirtschaftswissenschaften promoviert.“  SWANS: „Was ist aus deiner Sicht wichtig für die Gleichstellungsarbeit?“   Dr. Hedda Ofoole Knoll: „Bei tbd*- The Changer GmbH habe ich mich dafür eingesetzt, dass durch die richtigen Maßnahmen wie Intersektionalität und “Belonging” entsprechende Ansätze in die Jobsuche integriert wurden. Es war mir wichtig, dass sich die Angestellten wohlfühlen und erkennen, dass wir nicht nur Diversität anstreben, weil es gerade im Trend liegt, sondern weil wir uns bereits im Vorfeld intensiv damit auseinandergesetzt und die nötigen Strukturen dafür geschaffen haben.  Diese Art von Maßnahmen habe ich sowohl für unser Team als auch durch Workshop-Formate eingeführt, um andere in diesem Bereich zu schulen. In diesem Zusammenhang habe ich in diesem Sektor den ersten ‚Belonging-Space‘ ins Leben gerufen. Dabei handelte es sich um eine Art geschützten Raum, in den vor allem Input von Expert:innen, mehrheitlich BIPOC (Schwarze Menschen, Indigene und People of Color) und FLINTA (Frauen, Lesben, Intersex, nichtbinär, trans* und agender Personen), einfloss.  In diesem Raum haben sie gelernt, wie sie sich als Expert:innen in der Arbeitswelt schützen, sich methodisch empowern, mit Resilienz umgehen und sich gegenseitig austauschen können. Normalerweise waren sie in ihren Abteilungen häufig allein eingesetzt und auf sich selbst gestellt.“   SWANS: „Was ist aus deiner Sicht die größte Herausforderung einer Führungsposition und was sind deine Erfolgsgeheimnisse?“  Dr. Hedda Ofoole Knoll: „Die größten Herausforderungen für mich liegen in den Bereichen Geld, Kündigungen und Konflikte im Team. In diesen Situationen wünsche ich mir eine andere Herangehensweise, als sie das bestehende System bisher gezeigt hat. Hier fehlt es an Vorbildern, da ich bislang nur wenige Schwarze FLINTA in meiner Position gesehen habe.  Weil ich selbst mehrere Diversitätsdimensionen in mir vereine, viele Herausforderungen erlebt habe und den ‚Belonging-Space‘ auch für mich selbst gebraucht hätte, fällt es mir leicht, diese Themen zu erkennen und sie im Personalbereich einzuführen.“  SWANS: „Wir leben in einer Zeit in Deutschland, in der wir uns spalten. Wie können wir uns weniger spalten lassen und wieder mehr aufeinander zugehen?“  Dr. Hedda Ofoole Knoll: „In mir gibt es zwei innere Stränge, die ich verfolge. Ich bin eine geborene Brückenbauerin, geprägt durch meine Familie und ihre Geschichte. Meine Großeltern waren weiße Menschen aus Deutschland, geprägt vom Krieg und tief verwurzelt in rassistischen Weltbildern. Gleichzeitig haben sie mich geliebt. Dieses Spannungsfeld hat das Brückenbauen zu einem Teil von mir gemacht.  Mein Vater hat ebenfalls eine Brücke gebaut, indem er sagte, dass meine Großeltern, trotz ihrer Perspektive auf mich, immer meine Großeltern bleiben würden. Dieser Gedanke hat mir geholfen, sie zu respektieren – nicht zuletzt, weil ich großen Respekt vor älteren Menschen habe.  Aus dieser persönlichen Erfahrung heraus habe ich ein ganzes Programm an Maßnahmen entwickelt, das sich auf das Brückenbauen konzentriert und dieses Prinzip auch in andere Kontexte überträgt.  In zehn bis zwanzig Jahren werden wir nicht mehr die Minderheit sein. Wenn in Zukunft bestimmte Bereiche im ländlichen Raum austrocknen und beispielsweise keine Schwarzen Pflegekräfte mehr hinfahren oder Ärzt:innen dort tätig werden, wird ein Umdenken oder eine Veränderung unumgänglich sein. Möglicherweise wird es in solchen Situationen auch von rechter Seite ungemütlich werden.  Daher ist es wichtig, dass wir zu Global Playern werden und kurz- sowie mittelfristige Pläne entwickeln, um auf alle möglichen Szenarien vorbereitet zu sein. Du kannst dich finanziell absichern und mit deinem Netzwerk einen Plan B erarbeiten.  Und wenn die Brücke zur Demokratie erfolgreich gebaut wird, ist alles gut. Selbst dann war der Plan B nicht umsonst, denn er könnte der nächsten Generation von großem Nutzen sein.“  SWANS: „Was würdest du gerne in Unternehmen oder in der

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Selmin Çalışkan: „Walk your talk.“

Selmin H. Çalışkan arbeitet als Strategie-Beraterin und Executive Coach in Berlin, berät Führende in herausfordernden Situationen und unterstützt diese bei der Organisations- und Strategieentwicklung, der Positionierung, dem Fundraising und der internationalen Vernetzung. Zuletzt war sie Direktorin im Berliner Büro der Open Society Foundations und zuvor Generalsekretärin bei Amnesty International Deutschland. Sie setzt sich seit ihrer Jugend in Deutschland und international, für die Rechte von Frauen, Minderheiten und von (Kriegs-)Gewalt betroffenen Menschen ein. Sie engagiert sich hauptberuflich und ehrenamtlich als intersektionelle Feministin, Anti-Faschistin und Menschenrechtsexpertin für Demokratie, Frieden und Menschenrechte.    SWANS: „Wie würden Sie Ihre Kindheit beschreiben? Wie sind Sie aufgewachsen?“  Selmin Çalışkan: „Ich bin in sehr einfachen Verhältnissen und in zwei Familien aufgewachsen – in meiner türkischen Gastarbeiterfamilie und in einer deutschen Bäckersfamilie der Kriegsgeneration. Sie waren unsere Vermieter, und ich konnte über den Garten unkompliziert zwischen den Familien und Welten wechseln. Bis zu meinem siebten Lebensjahr hatte ich dadurch beides: Türkisch und deutsch, muslimisch und christlich, das Gefühl, einer Minderheit anzugehören, und gleichzeitig stundenweise der Mehrheitsgesellschaft.  Durch die Weltoffenheit meines Vaters hatten wir viele Familienfreundschaften mit deutschen, jugoslawischen, griechischen und anderen türkischen Familien. Danach zogen wir weg, und ich war mehr in der türkischen Community. Ich habe viel gelesen, um mich aus meinem Leben, das ich als beengend empfand, ‚wegzubeamen‘. Später kamen Leistungsvolleyball und gesellschaftspolitische Aktivitäten hinzu.  Als eines der wenigen migrantischen Kinder in Düren konnte ich das Gymnasium besuchen – und das auch nur, weil ich mich gegen den Willen meiner Lehrerin und ohne die Unterstützung meiner Eltern selbst angemeldet hatte. Ich war immer in mehreren Welten und Sprachen unterwegs: Tagsüber mit deutschen, weißen Mittelschichtsjugendlichen, Nazilehrern (und ein paar griechischen Freundinnen) und glücklicherweise auch mit Lehrer:innen der berühmten 68er-Generation. Nachmittags dann im muttersprachlichen Unterricht mit türkischen Jugendlichen, die aufgrund des strukturellen Rassismus kaum Aussichten auf Lehrstellen oder höhere Bildung hatten.  Diese Jugendlichen waren oft lebensklüger, lustiger, erwachsener und mutiger als die Gymnasiast:innen. Für mich war Deutschland von Geburt an ein Multikulti-Land – lange bevor es diesen Begriff überhaupt gab. Ich habe es sehr genossen, in unterschiedlichsten Welten zu sein – mal in der einen auf-, und in der anderen abzutauchen. Diese Welten sind bis heute fest in mich eingewoben.“   SWANS: „Gab es Vorbilder, die Sie für Ihren Karriereweg positiv beeinflusst haben?“   Selmin Çalışkan: „Es gab vier Frauen, die mich als Kind geprägt haben:  Meine Mutter, die uns Töchtern immer einschärfte: ‚Tochter, du darfst dich niemals von einem Mann abhängig machen. Schaff dir ein eigenes Bankkonto mit eigenem Geld aus eigener Arbeit.‘ Sie verwaltete unser Familiengeld und organisierte uns finanziell.  Die deutsche Bäckerin, die den Lebensmittelladen führte, immer picobello aussah, die Buchhaltung machte und am Steuer ihres Peugeots saß, wenn wir einen Ausflug machten. Auch sie war die Finanzchefin ihrer Familie.  Meine Cousine in Ankara, die bei einer Bank arbeitete, lange nicht heiraten wollte, allein wohnte und in den Urlaub fuhr – ein Ding der Unmöglichkeit in den 1970ern. Sie ging zum Taekwondo-Training, hatte lange schwarze Haare, eine eloquente Art und eine geheimnisvolle Ausstrahlung. Sie wirkte auf mich wie die türkische Filmschauspielerin und Feministin Türkan Şoray.  Meine Deutschlehrerin auf dem Gymnasium, die mit uns in der fünften Klasse Texte aus dem Nationalsozialismus las, ihre Türkei-Reise als Diashow präsentierte (eine ganz andere Türkei, als ich sie kannte) und Feministin der 1968er-Generation war. Sie inspirierte mich, was den Modestil angeht – seit damals liebe ich es, Kleider zu tragen.“  SWANS: „Woher kommt Ihr Gerechtigkeitssinn? Warum engagieren Sie sich für Menschenrechte?“  Selmin Çalışkan: „In meiner Kindheit und Jugend habe ich, trotz viel Wohlwollens, oft erlebt, dass wir als ‚die Anderen‘ angesehen und behandelt wurden. Es gab hässliche Szenen: Menschen beschimpften uns an der Supermarktkasse, und mein Vater wurde grundlos auf der Straße kontrolliert, als wäre er ein Krimineller. Das hat uns Kinder sehr beschämt.  Wir lebten in Wohnungen ohne Bad, mit Öfen und Außenklos. Unsere Eltern arbeiteten für niedrigere Löhne als Deutsche mit der gleichen Tätigkeit. Meine türkischen Freund:innen hatten kaum Chancen auf Lehrstellen oder höhere Bildung. Gleichzeitig bemerkte ich mit etwa sieben Jahren, dass ich als Mädchen anders behandelt wurde – irgendwie minderwertiger, sowohl in der Türkei, als auch in Deutschland. Das hat mich sehr geärgert und motiviert, anderen jungen Frauen zu helfen, sich zu wehren.   Diese Ungerechtigkeiten haben meinen Wunsch bestärkt, mich für Menschenrechte einzusetzen.“  SWANS: „Wie schaffen Sie den Spagat einer privilegierten Gesellschaft in Deutschland und anderen Ländern, in denen die Menschen weniger Rechte haben?“  Selmin Çalışkan: „Durch Solidarität und Empathie mit Menschen, die von bewaffneten Konflikten, Armut, Entrechtung, Folter, häuslicher und sexualisierter Gewalt betroffen sind. Ohne Empathie gibt es keine Solidarität, denn nur wer auch Schmerzhaftes an sich heranlässt und mit anderen mitfühlen kann, kann in die Aktion gehen, um Veränderungen zu bewirken.  Es war mir immer besonders wichtig, jene Menschen aus Deutschland und der Europäischen Union heraus zu unterstützen, die sich vor Ort für die Rechte und politische Teilhabe anderer einsetzen. Diese Menschen stammen aus den betroffenen Ländern, kennen sich dort aus und haben eine eigene Vision für ihr Land. Meistens stehen sie im Visier ihrer Regierungen und anderer, oft bewaffneter Gruppen und benötigen deshalb internationalen Schutz – von den Vereinten Nationen oder NGOs, die sicherstellen, dass Menschen individuell geschützt und solche Fälle rechtlich betreut werden. Ein Beispiel hierfür ist der Sonderberichterstatter für Menschenrechtsverteidiger:innen der UN. Der Schutz und die Zusammenarbeit mit Menschenrechtsverteidiger:innen aus dem Kongo, Bosnien, Afghanistan, Mali, Ägypten, Mexiko, der Türkei, Indien oder Italien waren mir stets ein Herzensanliegen, vor allem der Schutz von Frauen unter ihnen.  Aber wir brauchen gar nicht so weit zu blicken: Auch in Deutschland ist ein solcher Spagat nötig. Es gibt hier viele Menschen, die weniger Rechte haben und großes Leid erfahren haben, zum Beispiel diejenigen, die ihre Liebsten durch rechtsextremistische Terroranschläge des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) verloren haben. Sie erleben bis heute kaum Gerechtigkeit oder Anerkennung. Ein weiteres Beispiel ist die pro-demokratische Zivilgesellschaft in Ostdeutschland. Sie benötigt dringend Fördergelder und strategische Allianzen, um dem Belagerungszustand durch rechtsmotivierte Akteur:innen standzuhalten. Gemeinsam, mit uns allen, muss es gelingen, diesen Zustand zu durchbrechen.  Grundsätzlich müssen in Zukunft mehr Beteiligungsformate geschaffen werden, die

Vorbilder

Sarah Blaßkiewitz: „Die Hürden kommen meist unerwartet.”

Sarah Blaßkiewitz ist Regisseurin, Drehbuchautorin und ehemalige Schauspielerin. Ihr erster Langfilm IVIE WIE IVIE wurde u. a. beim Festival des deutschen Films als Bester Film ausgezeichnet und erhielt den Gilde Filmpreis der Programmkinos 2021. Sie inszenierte 2021 vier Folgen der WebserieDRUCK und 2022 die Serie “SAM – EIN SACHSE” von Disney+, für die sie mit dem Grimme-Preis 2024 ausgezeichnet wurde. Aktuell läuft die Comedy-Serie “OH HELL” auf Magenta TV und als Max (HBO)-Original in den USA, bei der Sarah Blaßkiewitz die gesamte 2. Staffel inszeniert hat. Sie studierte Film an der Beuth Hochschule Berlin und arbeitete im Regie- und Kameradepartment bei Filmproduktionen. SWANS: „Wie würden Sie Ihre Kindheit beschreiben? Wie sind Sie aufgewachsen?“  Sarah Blaßkiewitz: “Ich beschreibe meine Kindheit als kreativ und glücklich. Ich hatte von meiner Mama, als auch der Familie, eigentlich alle Freiheiten- bis auf das Rauchen, Alkohol, und all das, was man als Kind nicht machen sollte. Von daher war ich froh, dass ich mich so frei entfalten konnte.”  SWANS: „Gab es Vorbilder, die Sie in Ihrer Kindheit und Jugend gestärkt haben?“  Sarah Blaßkiewitz: “Ja, meine Vorbilder waren unter anderem die deutsche Band Tic Tac Toe, die britische Girlband Spice Girls und der TV-Detektiv Columbo.”  SWANS: „Haben Sie Rassismus erlebt und wie sind Sie damit umgegangen?“  Sarah Blaßkiewitz: “Da Rassismus viele Facetten hat und auch oft versteckt daherkommt, musste ich im Laufe meines Lebens Jahr für Jahr neu lernen, damit umzugehen. Ich habe mittlerweile erkannt, dass ich nicht länger damit umgehen möchte. Wenn ich beispielsweise verbal angegriffen werde, bleibt mir oft die Sprache weg. Die Verletzungen, die ich erlitten habe, stammen häufig aus früheren negativen Erfahrungen und werden durch neue Beleidigungen nur verstärkt. Warum sollte ich mich als Opfer verteidigen? Warum sollte ich versuchen, damit ‚umzugehen’? Meiner Meinung nach muss die gesamte Gesellschaft besser mit solchen Situationen umgehen, damit Betroffene wie ich nicht mehr damit konfrontiert werden. Wenn jemand geschlagen wird, bedeutet das nicht, dass die Lösung darin besteht, zurückzuschlagen. Die Person, die rassistisch beleidigt wird, verdient Schutz und Verteidigung! Viele meiner Freunde wurden auf offener Straße von Nazis angespuckt. Wie soll diese Freundin oder dieser Freund anders reagieren, als sich schnell in Sicherheit zu bringen? Nach dem Spucken könnte bereits ein Tritt oder Schlag folgen. Ich denke, die Frage nach dem Umgang ist in diesem Kontext nicht ganz passend. Wenn es Lösungen oder Ideen gibt, die mir helfen könnten, besser mit Rassismus umzugehen, bin ich offen dafür. Aber wie ich zu Beginn sagte, bin ich an einem Punkt angekommen, an dem ich nicht mehr mit Menschenverachtung, Rassismus und Hass reagieren möchte.”  SWANS: „Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen?“ Sarah Blaßkiewitz: “Ich habe schon früh im Kinder- und Jugendtheater mitgespielt. Anschließend konnte ich in einer Jugendserie mitspielen. Schließlich habe ich irgendwann begriffen, dass ich lieber hinter der Kamera stehe und anderen dabei zuschaue, wie sie spielen. Ich arbeite nur noch in absoluten Ausnahmen vor der Kamera, weil ich mich auf der anderen Seite viel wohler fühle. Ich habe den Beruf der Filmemacherin gewählt, weil ich mir nichts Anderes für mich vorstellen konnte und bis heute nicht kann.”  SWANS: „Was wünschen Sie sich zukünftig für die Film- und Produktionsbranche?“  Sarah Blaßkiewitz: “Ich wünsche mir von der Branche mehr Geld und Zeit, aber vor allem ein ehrlicheres Miteinander. Es sollte mehr Ausgewogenheit zwischen den Bereichen Streamern, TV und Kino vorhanden sein. Die Kinoproduktion hat es gerade in der Finanzierung sehr schwer.”  SWANS: „Wodurch lassen Sie sich für Ihre Drehbücher inspirieren?“  Sarah Blaßkiewitz: “Meine Inspirationsquellen für gute Drehbücher sind Menschen, Kunst und gute journalistische Arbeit.”  SWANS: „Auf welche gemeisterten Hürden in Ihrem bisherigen Leben sind Sie besonders stolz?“  Sarah Blaßkiewitz: “Ich bin stolz darauf, dass ich weiter mache, trotz Hürden! Die Hürden kommen meist unerwartet und können einen schwer treffen. Da kann es schon mal hart sein, sich selbst wieder zu motivieren und aus der Krise herauszukommen. Das funktioniert am besten mit Freund:innen und Familie, die einem zur Seite stehen.”  SWANS: „Was empfehlen Sie einer jungen Frau mit Einwanderungsgeschichte, die Schauspielerin werden will? Welche Schritte schlagen Sie vor?“  Sarah Blaßkiewitz: “Ich würde ein Handy nehmen und dich von einer Freund:in wie du eine Szene spielst, oder einen Monolog sprichst, abfilmen lassen. Gehe ins Theater, lies Texte, schau dir Filme an. Probiere dich aus und sauge alles auf, was nur möglich ist. Danach brauchst du jemanden, der dir eine gute Mentorin oder Mentor ist. Das ist im besten Fall auch eine Schauspielerin oder eine Person, die dich anderen auch vorschlagen kann. Lerne parallel immer auch Deutsch und Englisch, weil alles in deinem Job über Sprache laufen wird.” SWANS: „Was möchten Sie abschließend unserer Community gerne mitgeben?“  Sarah Blaßkiewitz: “Wir sollten uns als Frauen auf der Karriereleiter nicht einschüchtern lassen. Der Weg für uns ist steiniger als für Männer, aber wir haben die doppelte und dreifache Kraft dazu! Man muss nur rechtzeitig erkennen, wer einem gut tut und wer einen aufhält, sein Ziel zu verfolgen.”  SWANS: „Vielen Dank für das Gespräch!“

Vorbilder

Prof. Dr. Selcan Ipek-Ugay: “Ich hatte keine Vorbilder.”

Prof. Dr. Selcan Ipek-Ugay ist Professorin für Informatik an der Berliner Hochschule für Technik (BHT). Sie war in der Informatik-Lehre engagiert und nahm zuvor gleichzeitig diverse Positionen im außeruniversitären Umfeld ein, darunter Softwareentwicklerin, SCRUM-Masterin, Business Development Managerin und Head of Software Development. Nach ihrem Studium der Medizinischen Informatik an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und der Hochschule Heilbronn promovierte sie an der Berliner Charité am Institut für Experimentelle Radiologie und dem Institut für Medizinische Informatik. Während ihrer Promotion lag ihr Schwerpunkt auf der Entwicklung nichtinvasiver und bildgestützter Diagnosesysteme, um Organveränderungen wie Leberverhärtungen oder Tumore unmittelbar ohne Biopsie zu erkennen. Sie wurde 1985 in Adana (Türkei) geboren und kam kurz vor ihrem 12. Geburtstag zusammen mit ihrer Familie nach Deutschland (Hessen). Die heutige Professorin hat als erste aus ihrer Familie das Abitur gemacht, nachdem sie zunächst auf die Hauptschule geschickt worden war. SWANS: „Wie würden Sie Ihre Kindheit beschreiben? Wie sind Sie aufgewachsen?“  Prof. Dr. Selcan Ipek-Ugay: „Meine Kindheit war von bescheidenen und authentischen Verhältnissen geprägt. Zunächst wuchs ich in einem kleinen Dorf am Mittelmeer auf. Später zogen wir in eine kleine Stadt in Hessen. Dort sah ich mich plötzlich mit einer neuen Sprache, Kultur und einem völlig fremden Umfeld konfrontiert.  In dieser herausfordernden Situation musste ich früh Verantwortung übernehmen – sowohl zuhause, als auch in der Schule. Ich war praktisch die zweite Mutter für meine vier Geschwister und wollte ihnen ein Vorbild sein. Deshalb war es mir wichtig, immer klare Ziele zu setzen und einen Plan zu verfolgen. Diese Erfahrungen haben mich sehr früh reifen lassen und tief geprägt.“  SWANS: „Ihr Werdegang von der Schule bis zum Studium war sicherlich nicht leicht. Gab es Vorbilder, die Sie in Ihrer Kindheit und Jugend gestärkt haben?“  Prof. Dr. Selcan Ipek-Ugay: „Mein schulischer Werdegang war in der Tat sehr herausfordernd, da ich gar keine Vorbilder hatte. In meiner Familie oder Bekanntenkreis hatte niemand das Abitur gemacht oder studiert. Meine Eltern konnten nur drei Jahre die Dorfschule besuchen. Da wir das deutsche Bildungssystem nicht kannten, wurden meine Geschwister und ich zunächst auf eine Hauptschule geschickt. Schnell erkannte ich, wie wichtig es war, aus diesem schulischen Umfeld herauszukommen – einer Bubble, in der weder gefordert noch gefördert wurde. Dennoch musste ich zuerst die Hauptschule beenden, die mittlere Reife nachholen, um dann als Einzige in meinem Jahrgang auf ein naturwissenschaftliches Gymnasium gehen und Abitur machen zu dürfen.“  SWANS: „Sie haben Rassismus erlebt. Wie sind Sie damit umgegangen?“  Prof. Dr. Selcan Ipek-Ugay: „Bereits kurz nach unserer Ankunft in Deutschland und dem Beginn mit der Schule erlebte ich meine erste Begegnung mit Diskriminierung – nicht nur von Mitschüler:innen, sondern auch von Lehrkräften, weshalb mein schulischer Weg so hart war. Da ich aber zuvor keine Berührung mit Rassismus hatte, konnte ich diese Erfahrungen erst viele Jahre später richtig reflektieren.   Interessanterweise erfahre ich in den letzten Jahren erneut spürbaren Rassismus. Besonders belastend ist es, diese Erfahrungen in der Öffentlichkeit und oft vor den Augen meiner Kinder machen zu müssen. Auch wenn mich das innerlich stark getroffen hat und ich häufig das Fehlen von Zivilcourage bemerkt habe, habe ich nach außen hin meist ruhig und gefasst reagiert. Einmal rief ich sogar die Polizei, um gegen antimuslimischen Rassismus und Beleidigungen vorzugehen.“  SWANS: „Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen? Was oder wer hat Sie inspiriert?“   Prof. Dr. Selcan Ipek-Ugay: „Bereits seit der Grundschule wusste ich, dass mir Naturwissenschaften, insbesondere Mathematik und logisches Denken Spaß machen.  In der Oberstufe hatte ich Biologie als Leistungskurs und konnte dort die Relevanz der Informationstechnologie für medizinische Anwendungen kennenlernen, wie etwa Methoden zur Krankheitsuntersuchung wie DNA-Sequenzierung und die Kombination bildgebender Verfahren wie PET-CT zur Unterstützung der Diagnose.  Als ich kurz vor meinem Abitur einen Ausflug nach Heidelberg machte und mich in die Stadt verliebte, entdeckte ich den Studiengang Medizinische Informatik an der dortigen Universität. Ab diesem Zeitpunkt stand für mich fest, was ich studieren wollte.  Bei der Wahl des Studiengangs Medizinische Informatik bin ich von meinen fachlichen Interessen und von der Schönheit der Stadt Heidelberg ausgegangen.  Während meiner Promotionszeit in der experimentellen Radiologie fand ich es sehr spannend, neue innovative Diagnose- und Therapiesysteme zu erforschen und unmittelbar anzuwenden. Zudem hat es mir Spaß gemacht, meine Erfahrungen und mein Wissen mit jungen Menschen zu teilen. Deshalb bin ich in der Forschung und Lehre geblieben.“  SWANS: „Warum brauchen wir mehr Frauen in der Informatik bzw. Technologie?“  Prof. Dr. Selcan Ipek-Ugay: „Frauen in der Informatik tragen zur Förderung von Vielfalt bei und ermöglichen damit innovativere und diskriminierungsfreiere Lösungen.“  SWANS: „Hat eine diskriminierende Gesellschaft einen Einfluss auf die Technologie?“  Prof. Dr. Selcan Ipek-Ugay: „Ja, absolut. Wenn bestimmte Gruppen von der Gesellschaft systematisch benachteiligt werden, können diese Vorurteile in Technologieprodukte bzw. -prozesse, z.B. Algorithmen oder KI-Systeme einfließen. Dies kann wiederum dazu führen, dass Technologien bestehende soziale Ungleichheiten und diskriminierende Muster verstärken.“  SWANS: „Welche Fähigkeiten und Eigenschaften brauche ich als Frau, um mich in Ihrer Branche behaupten zu können und erfolgreich zu sein?“  Prof. Dr. Selcan Ipek-Ugay: „Als Frau in der IT-Lehre und -Forschung muss man sich durch seine fachliche Expertise stets beweisen. Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen sind wichtige Eigenschaften, um sich in einem üblicherweise männerdominierten Umfeld zu behaupten. Ein starkes Netzwerk und das Annehmen von Herausforderungen sind ebenfalls bedeutend.“  SWANS: „Sie haben inzwischen vier Kinder. Wie vereinbaren Sie Beruf und Familie miteinander?“  Prof. Dr. Selcan Ipek-Ugay: „Mit vier kleinen Kindern ist es eine ständige Herausforderung, die Balance zwischen Privat- und Berufsleben zu finden. Daher musste ich in den letzten Jahren häufig Nachtschichten einlegen, um meine Pflichten überhaupt zu bewältigen. Effektives Zeitmanagement und eine gerechte Aufgabenverteilung sind dabei essenziell.  Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist anspruchsvoll, aber mit einigermaßen flexiblen Arbeitszeiten und einem Partner, der sich der gemeinsamen Verantwortung für Familie und Kinder bewusst ist, durchaus realisierbar.“  SWANS: „Auf welche gemeisterten Herausforderungen in Ihrem bisherigen Leben sind Sie besonders stolz?“  Prof. Dr. Selcan Ipek-Ugay: „In meiner finalen Promotionsphase habe ich innerhalb eines Jahres meine ersten zwei Kinder bekommen. Trotz der Herausforderungen von zwei Geburten und den damit verbundenen privaten und auch fachlichen Anforderungen konnte ich meine Dissertation nach insgesamt drei Jahren erfolgreich mit

Vorbilder

Jasmin Arbabian-Vogel: „Wir haben einen doppelten Rucksack auf der Schulter.“

Jasmin Arbabian-Vogel hat Politologie und Sozialpsychologie in Hannover studiert und ist geschäftsführende Gesellschafterin der Interkultureller Sozialdienst GmbH.  Sie führt drei weitere Unternehmen und ist Aufsichtsratsmitglied der Deutschland Immobilien AG. Sie engagiert sich als Beirätin und Vorständin in verschiedenen regionalen und bundesweiten Organisationen, darunter für den Verband deutscher Unternehmerinnen (VdU) e.V., davon seit 2018 als Vorsitzende und seit 2016 als Honorarkonsulin für das Königreich Schweden. 2008 erhielt sie den Wirtschaftspreis der Stadt Hannover und 2015/2016 wurde sie vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) und die bundesweite Gründerinnenagentur (bga) als Vorbildunternehmerin für die Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Sie wohnt mit ihrem Partner und ihren zwei Kindern in Hannover. Das Gespräch führte Zekiye Tolu.  SWANS: „Wie würden Sie ihre Kindheit beschreiben?“  Jasmin Arbabian-Vogel: „Ich bin 1968 in Deutschland geboren. Mein Vater ist Iraner und meine Mutter Deutsche. Die beiden haben sich in Deutschland kennengelernt, da mein Vater seinerzeit vom Schah zum Studieren nach Deutschland geschickt wurde. Sie haben in Hannover relativ schnell geheiratet. Ich bin als zweites Kind hier geboren, mein Bruder ist vier Jahre älter als ich. Als ich zwei Jahre alt war, sind meine Familie und ich in den Iran gegangen. D.h. die ersten beiden Lebensjahre habe ich in Deutschland verbracht und von da an bin ich erstmal im Iran geblieben. Ich bin zwei Wochen vor meiner Volljährigkeit und nach dem Absolvieren des Abiturs im Iran 1986 wieder zurück nach Deutschland ausgewandert. Die politische Lage im Iran wurde dort zunehmend schwieriger, deshalb sind wir ohne meinen Vater zurück nach Deutschland. Er blieb zunächst im Iran. Er pendelte bis zum Ende seines Lebens zwischen Iran und Deutschland und ist hier auch nie richtig ansässig geworden. Er begründete es mit der Aussage: ‚Was soll ich hier? Hier bin ich nur ein Ausländer und im Iran bin ich „Herr Ingenieur“.’  Ich bin somit in den entscheidenden prägenden Kindheitsjahren mit beiden Religionen im Iran aufgewachsen – Christentum und Islam. Meine Eltern haben mich in beiden Religionen aufwachsen lassen und gesagt, dass ich mich irgendwann selbst für eine Religion entscheiden soll. Mit zehn Jahren habe ich entschieden, dass ich Atheistin werde, weil ich nicht an Gott glaube.  Als ich mit 18 Jahren in Deutschland ankam, hatte ich meinen ersten Schock, weil mein Abitur nicht anerkannt wurde. Das Schicksal teilte ich mit vielen eingewanderten und geflüchteten Menschen, deren Abschlüsse nicht anerkannt werden. Ich hatte allerdings das große Glück die doppelte Staatsbürgerschaft zu haben. Das war damals ein Novum. Wir hatten damals durch die doppelte Staatsbürgerschaft die Möglichkeit, legal auswandern zu können, wenn sich die politische Lage im Iran verschärft hätte. Ich durfte dann mit der deutschen Mutter das Land verlassen. Deswegen waren wir eine exotische Gruppe von doppelten Staatsbürger:innen. Hätte ich die doppelte Staatsbürgerschaft nicht gehabt, hätten wir Fluchtrouten nehmen müssen.   Das hieß, ich musste das Abitur in Deutschland nachholen. Anfangs fand ich das unangenehm, aber im Nachhinein war das die richtige Entscheidung, weil es den Kulturkonflikt etwas abgefedert hat. Es ist nämlich schon ein Unterschied, wenn man nur die Ferien in Deutschland verbringt, als hier zu leben. Ich habe das Abitur in Hannover absolviert, folglich bin ich insgesamt 15 Jahre zur Schule gegangen und habe anschließend Politologie und Sozialpsychologie studiert. Nach Beendigung des Studiums habe ich mich selbstständig gemacht.  Insgesamt kann ich sagen, dass meine Kindheit und Jugend sehr schön waren, weil der Iran ein fantastisches Land ist. Auch wenn in den 1970ern die Revolution kam und später die Islamische Republik, womit es für Frauen immer schwieriger wurde. Das ist nicht das, was das Leben dort ausmacht. Das Leben vollzieht sich nicht im politischen, sondern im privaten Raum, Die Gesellschaft ist trotz islamischer Republik die gleiche geblieben. Insofern bin ich von einer über 2.500 Jahre alten Kultur mit gastfreundlichen, kosmopolitischen und liebenswürdigen Menschen aufgewachsen und getragen. Das, was ich heute bin, bin ich, weil ich auch im Iran aufgewachsen bin.“   SWANS: „Warum haben Sie sich direkt nach dem Studium selbstständig gemacht?“  Jasmin Arbabian-Vogel: „Dafür gab es verschiedene Gründe. Wenn man zum Einen Politologie und Sozialpsychologie studiert, studiert man kein konkretes Berufsfeld. Wenn Sie beispielsweise Physik studieren, werden Sie anschließend Physikerin, das galt nicht für mein Studium. Die Frage ‘Was mache ich nach dem Studium?’ war schon immer virulent. Der Vorteil ist, dass man dadurch flexibel ist, um in sehr unterschiedlichen Bereichen unterzukommen.  Der andere Motivator war, dass ich während des Studiums durchweg gearbeitet habe. Dadurch habe ich erfahren, dass ich die Jobs super fand, aber die Vorgesetzten nicht. Da habe ich früh gemerkt, das ist nicht meine Vorstellung von Arbeit. Die meiste Zeit unseres Lebens verbringen wir auf der Arbeit. Wenn es da draußen keine Arbeit gibt, die mir gefällt, weil die männlichen Chefs doof sind, dann erschaffe ich mir meinen Arbeitsbereich selbst. Damals gab es leider noch viel mehr männliche Vorgesetzte als heute. Das war für mich ein ganz starkes Motiv. Ich wollte einen Arbeitsplatz schaffen, in dem die Menschen gerne arbeiten und wo man sich auf Augenhöhe und mit Wertschätzung begegnet. Das habe ich bis heute durchgezogen. Das gelingt mir nicht immer. Menschen sind fehlbar, aber das war schon immer meine Zielsetzung und davon bin ich nicht abgewichen.   Der dritte Motivator war, dass ich irgendwann im Studium in einem Pflegedienst in der Verwaltung gearbeitet habe. Zu der Zeit wurde die Pflegeversicherung in Deutschland installiert – das elfte Soziale Gesetzbuch. Zu der Zeit wurden viele Pflegedienste gegründet. Das fiel genau in die Zeit, in der ich in dieser Verwaltung gearbeitet habe. Parallel dazu ist mein Vater krank geworden, also ein Einwanderer, der in Deutschland krank wird. Da wurde mir klar, dass wir in Deutschland ein super soziales Netz aufgebaut haben, es sei denn, du bist eingewandert. Das war der allerstärkste Antrieb, weil ich hautnah miterlebt habe, wie ein Angehöriger mit Migrationshintergrund krank wurde. Wenn die in die Mühlen des Gesundheitssystems geraten, dann wird es schwierig. Deutschland hat sich noch nicht als Einwanderungsland begriffen, obwohl wir eines sind. Die Regelinstitutionen haben sich überhaupt nicht geöffnet. ‘Das mache ich anders.’ Dann habe ich beschlossen, mich mit einem Pflegedienst mit Schwerpunkt auf Menschen mit Einwanderungsgeschichte selbstständig zu machen. Das

Vorbilder

Sara Weber: „Gemeinsam mit Menschen wachsen zu können, ist so wertvoll.“

Sara Weber, geboren 1987, ist Deutsch-Amerikanerin und lebt in München. Sie studierte Publizistik und Buchwissenschaft in Mainz und besuchte die Deutsche Journalistenschule in München. Nach ihrer Zeit als freie Autorin für u.a. DIE ZEIT und die Süddeutsche Zeitung arbeitete sie fünf Jahre bei LinkedIn. Sie schreibt die SPIEGEL-Kolumne „ÜberArbeiten“. Ihr erstes Buch „Die Welt geht unter und ich muss trotzdem arbeiten?“ war 2023 ein SPIEGEL-Bestseller. Ihr zweites Buch „Das kann doch jemand anderes machen!“ erscheint im August 2024 bei Kiepenheuer & Witsch. Das Gespräch führte Zekiye Tolu.  SWANS: „Wie würdest du deine Kindheit beschreiben?“  Sara Weber: „Ich bin in Bayern auf dem Dorf mit meiner alleinerziehenden Mutter in einem Mehrgenerationenhaushalt aufgewachsen. Mein Vater lebte und lebt in den USA. Ich empfand das als sehr schön und prägend. Es gab allerdings wenig People of Color in meiner Umgebung, in meiner Grundschulklasse war ich die einzige. Das hat für mich damals aber keine große Rolle gespielt. Es kamen zwar mal ein paar blöde Sprüche, aber da hat mir meine Familie beigebracht, dass es mir egal sein kann. Sie haben mir klar gemacht: Das ist deren Problem und nicht deins. Und das war im konservativen Bayern eine Einstellung, die für mich gut funktioniert hat.  Als ich ins Gymnasium in die nächstgrößere Stadt kam, habe ich die Unterschiede bemerkt. Es war eine Art Eliteschule, in die viele Kinder aus eher wohlhabenden Familien gingen. Das waren Familien mit verheirateten Eltern, die zwei bis drei Kinder hatten. Die Mutter blieb meistens zu Hause, während der Vater in einem sehr gut bezahlten Job arbeitete. Meine Mutter hingegen hat an der Kasse gearbeitet, mein Vater hat in den USA gelebt und ich sah nicht aus wie alle anderen. Das war der Moment, als ich gemerkt habe, dass ich nicht so ganz reinpasse. Wenn ich hingegen in den Ferien bei meiner Familie in den USA war, war ich in einer anderen Position. Das war der Anfang einer Phase, in der ich herausfinden wollte, wie ich in diesen Kontext passe. Wie passen diese verschiedenen Lebensrealitäten, zwischen denen ich mich bewege, zusammen? Und was bedeutet das für meine Identität?“   SWANS: „Wie hast du Rassismus erlebt und wie bist du damit umgegangen?“  Sara Weber: „Den Alltagsrassismus gibt es immer – das wissen alle People of Color. Das geht von rassistischen Sprüchen bis hin zu ungefragt in die Haare fassen. Bestimmt gab es auch andere rassistische Formen der Diskriminierung, die mir damals gar nicht so bewusst waren. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich keine größeren Übergriffe erlebt habe. Ich hatte ein sehr angenehmes Umfeld aus Familie und Freund:innen, in dem ich gut eingebunden und geschützt war.   Ich gehörte allerdings auch zu den ‘Guten‘ mit Migrationshintergrund, aus der Außenperspektive betrachtet – auch wenn ich persönlich es für höchstproblematisch halte, so zwischen Herkunftsländern zu unterscheiden. Aber in den 1990ern und 2000ern waren die USA ein sehr beliebtes Land, auf das man eher herauf- als herabgeblickt hat. Es gab dort coole Klamotten, die es hier in Deutschland noch nicht gab, es war ein Sehnsuchtsort. Das hat geholfen. Die USA waren damals sexy, sie hatten einen ganz anderen Status.“  SWANS: „Wer waren deine Vorbilder, die dich in deinem Leben bestärkt haben?“  Sara Weber: „Es gab während meiner Schulzeit keine anderen Schwarzen Personen in meinem Umfeld in Deutschland. Ich war auf einer sehr weißen, bayerischen Schule und das hat sich widergespiegelt. Ich hatte dennoch das Glück, dass ich von meiner Mutter, meinem Vater und meiner gesamten Familie bestärkt wurde. Es war ihnen wichtig, mir beizubringen, dass ich so wie ich bin, gut bin. Und wenn andere Menschen mir etwas Anderes erzählen, sagt es mehr über sie aus als über mich. Das ist eine sehr privilegierte und stärkende Denkweise, die dich nicht davor schützt, wenn du in Extremsituationen bist, in denen du wegen rassistischer Angriffe um deine Gesundheit oder dein Leben fürchten musst, aber hilft, Alltagssituationen besser wegzustecken.“  SWANS: „Welche Werte hast du mitbekommen?“  Sara Weber: „Die familiäre Verbindung schätze ich sehr, da ich sowohl in Deutschland, als auch in den USA in einem starken Familienverbund aufgewachsen bin. Ich habe eine sehr große Familie, die sich sehr nah ist. Sowohl in der Kernfamilie, als auch in der gewählten Familie ist immer jemand für mich da. Ich kann mich immer auf jemanden verlassen. Das ist ein tiefsitzender Wert, den ich immer mit mir rumtrage. Ich weiß, ich kann jederzeit um 5 Uhr morgens bei diesen Menschen vor der Tür stehen und sie würden keine Fragen stellen.   Ein anderer Wert ist, seinem Bauchgefühl zu folgen und zu wissen, dass das einen richtig leitet. Und mir ist Geld als Statussymbol nicht wichtig. Wir alle brauchen natürlich Geld zum Leben, um ein Dach über dem Kopf zu haben, um zu essen, um unser Leben zu bestreiten. Aber Geld als Statussymbol brauche ich nicht. Ich habe kein Bedürfnis, viele teure Dinge zu besitzen. Die wahren Werte, die ich mitbekommen habe, sind Gesundheit, Familie, Zusammenhalt und Füreinander da sein. Danach gestalte ich mein Leben.“   SWANS: „Auf welche der von dir gemeisterten Hürden bist du besonders stolz?“  Sara Weber: „Was mich beschäftigt hat, war die Studienzeit. Mir war nicht klar, was und wo ich studieren soll. Was steht mir beruflich offen? Die Schule fiel mir relativ leicht, aber ich war mir nicht sicher, ob ich überhaupt studieren soll. Meine Mutter hat mir geraten zu studieren. Ich hatte Lust darauf, aber ohne zu wissen, was das konkret bedeutet. Mir war nicht bewusst, wie das System funktioniert. Meine Mutter konnte mir auch nicht aus eigener Erfahrung berichten, wie das läuft. Andere hatten es da leichter, weil sie es von ihren Familien schon kannten.  Zum Anderen waren wir finanziell nicht so aufgestellt, dass ich mir alles einfach leisten konnte. Während ich mit meinem BAföG haushalten musste, sind andere Student:innen in den Semesterferien in den Urlaub gefahren, haben ein Auslandssemester absolviert. Diese finanziellen Unterschiede, aber auch der Habitus von Menschen aus Akademiker:innen-Familien war für mich sehr klar und deutlich.  Ebenso stellte die Kommunikation eine Herausforderung für mich dar. Es gab einfach andere Begrifflichkeiten, die ich vorher nicht kannte

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