Prof. Dr. Abiola Sarnecki ist Professorin für Organisation und Personal an der Wiesbaden Business School der Hochschule RheinMain (HSRM). Zudem ist sie Diversitäts- und Antidiskriminierungsbeauftragte der HSRM und Gastprofessorin an der Toulouse School of Management in Frankreich. Für die wissenschaftliche Karriere hatte sie sich nach 15 Jahren als Unternehmensberaterin entschieden und dafür an der EBS-Universität für Wirtschaft und Recht in Organizational Behavior promoviert. Sie hat einen Master in Electronic Engineering vom Kings‘ College in London (UK), einen MBA vom Imperial College London (UK) und einen Bachelor in Electrical and Electronic Engineering von der Universität Lagos (Nigeria). Das Gespräch führte Zekiye Tolu.
SWANS: „Wie würden Sie Ihre Kindheit beschreiben? Wie sind Sie aufgewachsen?“
Prof. Dr. Abiola Sarnecki: „Glücklich und geborgen. Meine Eltern waren beide Professoren an der Universität Lagos (Nigeria) und wir haben, zusammen mit meinen zwei Schwestern und meinen Bruder, auf dem Campus gelebt. Der erweiterte Familienkreis mit Großeltern, Onkeln, Tanten, Cousins und Cousinen war auch sehr wichtig für uns. Ich habe viele schöne Erinnerungen an meine Kindheit.“
SWANS: „Gab es Vorbilder, die Sie früh geprägt haben und einen positiven Einfluss auf Sie hatten?“
Prof. Dr. Abiola Sarnecki: „Meine Mutter und meine Großmutter haben mir gezeigt, dass Frauen stark, selbstständig und beruflich erfolgreich sein können. Mein Vater war eine starke Persönlichkeit und hat uns nicht dominiert, sondern immer unterstützt. Durch meine Eltern habe ich Werte wie Empathie, Integrität und Selbstbewusstsein gelernt.“
SWANS: „Wie sind Sie zum heutigen Beruf gekommen?“
Prof. Dr. Abiola Sarnecki: „Nach über 15 Jahren in der Unternehmensberatung und im Personalwesen gelangte ich nach intensiver Selbstreflexion zu der Erkenntnis, dass ich bereit für eine neue Herausforderung war – auch wenn mir zunächst nicht genau klar war, in welche Richtung ich mich entwickeln wollte.
In einem Gespräch mit einem Freund, der heute mein Mentor ist, teilte ich ihm mit, dass ich mit dem Gedanken spielte, zu promovieren, mir jedoch unsicher war, ob ich die erforderliche Zeit und Ressourcen dafür aufbringen konnte oder wollte. Er lud mich daraufhin zu einem Forschungsworkshop ein. Die Auseinandersetzung mit wissenschaftlicher Forschung faszinierte mich so sehr, dass ich mich entschied, meine damalige Stelle zu kündigen und die Promotion zu beginnen. Nach Abschluss meiner Promotion entschied ich mich bewusst für eine akademische Laufbahn. Im Jahr 2021 erhielt ich schließlich meine Berufung zur Professorin.“
SWANS: „Hatten Sie Vorbilder, die Sie auf Ihrem Weg zu Ihrer Berufslaufbahn inspiriert haben?“
Prof. Dr. Abiola Sarnecki: „Ja, mehrere. Meine Eltern, eine ehemalige Chefin und meine ehemaligen Betreuer:innen aus meiner Promotion. “
SWANS: „Haben Sie Rassismus erfahren? Wenn ja, wie sind Sie damit umgegangen?“
Prof. Dr. Abiola Sarnecki: „Ja, solche Erfahrungen mache ich immer wieder – oft subtil, aber dennoch spürbar. Ein Beispiel ist, wenn ich mit meiner Assistentin eine Konferenz besuche und häufig selbst für die Assistentin gehalten werde. Oder am Flughafen, wenn ich als einzige Passagierin direkt nach dem Aussteigen für eine Passkontrolle ausgewählt werde.
Wie ich damit umgehe? Ich bin stolz darauf, eine Schwarze Frau zu sein, und lasse mir diesen Stolz von niemandem nehmen. Wenn ich der Meinung bin, dass es etwas an der Situation ändern kann, spreche ich es an. Und wenn es erforderlich ist, scheue ich mich nicht, die Angelegenheit weiter zu eskalieren.“
SWANS: „Warum brauchen wir aus Ihrer Sicht Vielfalt und Menschen mit Einwanderungsgeschichte in der Berufswelt?“
Prof. Dr. Abiola Sarnecki: „Vielfalt – sei es in Bezug auf Geschlecht, ethnischen Hintergrund, sozioökonomischen Status, sexuelle Orientierung, Behinderung oder Neurodiversität – spielt eine entscheidende Rolle in der Arbeitswelt. Die unterschiedlichen Perspektiven, die sie mit sich bringt, fördern die Unternehmensleistung, indem sie zu innovativeren Produkten, kreativeren Entscheidungsprozessen und einer höheren Arbeitszufriedenheit beitragen. *
Allerdings reicht Vielfalt allein nicht aus, um nachhaltige positive Effekte zu erzielen. Ebenso entscheidend ist ein starkes Gefühl der Zugehörigkeit (Belonging). Dieses beschreibt das Maß, in dem Individuen ihre einzigartigen Eigenschaften einbringen können, ohne dabei das Gefühl zu haben, ausgeschlossen oder nicht vollständig akzeptiert zu werden. Deshalb ist es essenziell, dass Unternehmen eine inklusive Unternehmenskultur fördern, in der Vielfalt nicht nur vorhanden, sondern auch wertgeschätzt und unterstützt wird.“
SWANS: „Welche Inhalte Ihrer Arbeit möchten Sie Student:innen besonders ans Herz legen?“
Prof. Dr. Abiola Sarnecki: „Drei Dinge liegen mir besonders am Herzen:
- Ethisches Verhalten ist essenziell und sollte die Grundlage jedes Handelns bilden.
- Vielfalt ist eine Bereicherung und bringt wertvolle Perspektiven mit sich.
- Unterschiedliche soziale und kulturelle Hintergründe führen zu vielfältigen Sichtweisen. Diese sind in den meisten Fällen weder richtig noch falsch – sie sind einfach verschieden und eröffnen neue Denkansätze.“
SWANS: „Welche Stärken erkennen Sie bei Frauen mit Einwanderungsgeschichte? Welche Besonderheiten bringen sie für die Berufswelt mit?“
Prof. Dr. Abiola Sarnecki: „Resilienz – die Fähigkeit, trotz Rückschlägen und mangelnder Anerkennung kontinuierlich sein Bestes zu geben. Viele Frauen mit Einwanderungsgeschichte wissen, dass sie in gewisser Weise Vorreiterinnen sind. Sie tragen diese Verantwortung bewusst und setzen sich dafür ein, den Weg für zukünftige Generationen zu ebnen.“
SWANS: „Was ist für ein gelungenes Leadership für Frauen entscheidend?“
Prof. Dr. Abiola Sarnecki: „Authentisch bleiben, die eigene Neugier bewahren und kontinuierlich in die persönliche Entwicklung investieren. Für die eigenen Ideen werben, andere unterstützen und als Mentorin eine inspirierende Rolle übernehmen.“
SWANS: „Wir leben aktuell in sehr bewegenden Zeiten. Wie gehen Sie mit diesen Ereignissen um?“
Prof. Dr. Abiola Sarnecki: „Ich versuche, mich mental zu schützen und solche Erfahrungen nicht persönlich an mich heranzulassen.
Als Diversitätsbeauftragte der Hochschule setze ich mich aktiv dafür ein, das Bewusstsein für Vielfalt und Antidiskriminierung zu schärfen. Mein Ziel ist es, ein inklusives Umfeld zu fördern und Hochschulangehörige zu unterstützen – sowohl diejenigen, die selbst Diskriminierung erfahren haben, als auch jene, die sie beobachtet haben.“
SWANS: „Auf welche gemeisterte Hürde sind Sie besonders stolz und wie haben Sie diese überwunden?“
Prof. Dr. Abiola Sarnecki: „Nach 15 Jahren Berufserfahrung und einer längeren Auszeit, in der ich meine Kinder großgezogen habe, kehrte ich als Studentin an die Universität zurück, um meine Promotion zu beginnen. Diese Zeit war äußerst herausfordernd, doch ich habe meine Promotion mit summa cum laude – der bestmöglichen Note – abgeschlossen. Darauf bin ich sehr stolz.
Trotz Rückschlägen habe ich nie aufgegeben. Selbst in Momenten, in denen ich dachte, nicht mehr weitermachen zu können, habe ich neue Kraft gefunden und weitergemacht. Ich war mir nicht zu schade, um nach Unterstützung zu bitten, auch von meinen deutlich jüngeren Kolleg:innen. Diese Offenheit und Durchhaltefähigkeit haben mir letztlich den Weg zu meinem Erfolg geebnet.“
SWANS: „Welchen Ratschlag würden Sie unseren ‘Schwänen’ mitgeben?”
Prof. Dr. Abiola Sarnecki: „Sei stolz auf deine Identität – die Perspektiven, die ein Hintergrund aus mehreren Kulturen mit sich bringt, sind einzigartig und von großem Wert. Indem du diese Identität annimmst, trittst du authentisch auf – eine äußerst starke Eigenschaft erfolgreicher Führung.
Baue dir ein Netzwerk aus Mentor:innen, Verbündeten und Kolleg:innen auf, die dir mit Rat, Unterstützung und Ermutigung zur Seite stehen können. Selbstverständlich ist es entscheidend, dieses Netzwerk aktiv zu pflegen. Suche gezielt Communitys, in denen du mit Frauen und Führungskräften mit Einwanderungshintergrund in Kontakt treten kannst, um Erfahrungen auszutauschen und voneinander zu lernen. Scheue dich nicht, um Hilfe zu bitten, und stärke Beziehungen, die für deine Karriere und persönliche Weiterentwicklung von Bedeutung sein können.“
SWANS: „Vielen Dank für das Gespräch!”
*Studien dazu haben wir in unseren FAQ zusammengetragen.