Fatime Cetinkaya: „Ich glaubte, ich muss es aus eigener Kraft schaffen.”

Als Geschäftsführerin des IT-Unternehmens cekaso ist Fatime Cetinkaya seit vielen Jahren erfolgreich in einer von Männern dominierten Branche unterwegs. Ihr Fachgebiet ist die digitale Transformation im Möbelhandel. Zudem setzt sie sich für mehr Diversität und Frauen in Tech-Berufen ein. Fatime hat ihren Master of Science in Marketing und Distributionsmanagement absolviert und sich u.a. im Bertelsmann-Konzern schon früh mit dem Thema KI und Prozessmanagement beschäftigt. Sie ist u.a. Co-Vorsitzende der MINT-Kommission im Verband deutscher Unternehmerinnen (VdU) und wurde von den Wirtschaftsjunioren und dem SZ-Institut als „4×4 unter 40“ für Mut zu Technologie ausgezeichnet. Das Gespräch führte Martha Dudzinski.

SWANS: „Wie würdest du deine Kindheit beschreiben?”

Fatime: „Ich hatte eine schöne Kindheit, obwohl ich sie nicht als leicht empfunden habe. Ich stamme aus einer klassischen Gastarbeiter:innenfamilie und bin als Baby mit meinen Eltern und Geschwistern eingewandert. Im Ruhrgebiet aufgewachsen, habe ich seit meinem 16. Lebensjahr neben Schule und Studium gearbeitet, um auf eigenen Beinen zu stehen. Für diesen Weg bin ich dankbar, weil er mich stark gemacht hat.”

SWANS: „Hast du dich in deinem Leben eher gefördert oder unterschätzt gefühlt?”

Fatime: „Ich wurde gefördert, soweit es unsere Mittel zugelassen haben. Meine Eltern haben immer den Fokus auf unsere Bildung gesetzt. Sie haben mich ermutigt, Klassensprecherin zu werden. Diese Position habe ich die gesamte Schulzeit innegehabt, auch Schulsprecherin oder Jahrgangssprecherin. Ich habe mich immer ehrenamtlich engagiert und erinnere mich daran, wie mein Vater mich um 22 Uhr abholen musste, weil ich an Schulkonferenzen teilgenommen habe. Später im Berufsleben hat sich das gedreht und ich habe mich eher unterschätzt gefühlt. Mir wurde suggeriert, dass ich “nur” eine kleine Frau unter Männern bin. Umso mehr habe ich Begegnungen mit sowohl weiblichen als auch männlichen Entscheider:innen geschätzt, die mich bewusst unterstützt haben.”

SWANS. „Auf welche gemeisterte(n) Hürde(n) bist du besonders stolz?”

Fatime: „Nach Abitur, Bachelor- und Masterstudium bin ich im Bertelsmann-Konzern eingestiegen. Hier habe ich schon früh internationale POS-Kampagnen mit Hilfe künstlicher Intelligenz umgesetzt. Durch die Akquise von Neukund:innen und die Erweiterung des Leistungsspektrums konnte ich viele Erfolge feiern. Auch mein Team hat sich in kürzester Zeit vergrößert. In Meetings auf Führungsebene war ich die einzige Frau. Schließlich wagte ich den Sprung ins Unternehmertum. Davor hatten meine Eltern immer Angst und wollten lieber, dass ich eine Karriere in bestehenden Unternehmen mache. Den Mut dazu musste ich also selbst aufbringen. Ein Schritt, auf den ich sehr stolz bin.

Mein eigener Online-Shop Mein Wunderzimmer schaffte es mit 4.000 Produkten als Partner in die Pampers-App. Innerhalb weniger Monate konnten wir über 40.000 Follower auf Social Media aufbauen und viele Kund:innen für uns gewinnen. Doch durch Lieferengpässe und fehlende Liquidität musste ich Insolvenz anmelden und wieder ganz von vorne anfangen – eine sehr schmerzliche Erfahrung, die mich auch persönlich an meine Grenzen gebracht hat. Heute weiß ich, dass ich mir Fehler zunächst selbst verzeihen muss, um erfolgreich zu sein.

SWANS. „Gibt es Erfahrungen mit Sexismus und/oder Rassismus bzw. Ausgrenzung, die dich besonders geprägt haben oder dir besonders im Gedächtnis geblieben sind?”

Fatime: „Tatsächlich ist es besonders schmerzlich, wenn mir Sätze wie “da, wo du herkommst” von Mitmenschen entgegengebracht werden, von denen ich dachte, wir wären Gleichgesinnte und Unternehmerinnen auf Augenhöhe. So ist es mir auf einer großen Netzwerkveranstaltung in Berlin gegangen. Das hat mich in dem Moment eiskalt erwischt. Es passiert immer wieder, dass mir aufgrund meiner türkischen Wurzeln Dinge unterstellt werden, oder andere Menschen meinen, sie wüssten deshalb, wie ich denke und fühle. Das ist eine Form von Alltagsrassismus, für den ich mir ein dickeres Fell zulegen musste. Solche Erfahrungen bleiben einem leider immer im Gedächtnis.”

SWANS. „Wie stehst du zu Quoten?”

Fatime: „Ich glaube das Beste, was wir als Unternehmerinnen tun können, ist, in unserer jeweiligen Branche Marktführerin zu werden, erfolgreich zu sein und uns durch nichts aufhalten zu lassen. Dann sind wir die besten Vorbilder und dann kommt auch niemand mehr an uns vorbei, wenn es um die Besetzung von Vorständen und Aufsichtsräten geht! Politische Rahmenbedingungen und Quoten können zwar ein probates Mittel sein, um Veränderungen in den Vorstandsetagen und der Gesellschaft zu forcieren, sie haben aber immer einen bitteren Beigeschmack. Ich glaube fest daran, dass wir Frauen unseres eigenen Glückes Schmied sind.”

SWANS: „Viele unserer Schwäne müssen schon in ihrer Kindheit und Jugend viel Verantwortung übernehmen, etwa bei Elternsprechtagen, Behördengängen und Dokumenten – wie war das bei dir?”

Fatime: „Ähnlich. Auch ich musste viele Übersetzungsarbeiten für meine Eltern machen. Das kann ich absolut bestätigen und hat sicherlich dafür gesorgt, dass ich sehr früh sehr selbstständig war und keinerlei Angst davor hatte, mit 19 Jahren für das Studium in eine eigene Wohnung zu ziehen.”

SWANS: „Du hast fünf verschiedene Unternehmen gegründet, von Postern über Kinderprodukte bis hin zu digitalen Lösungen für Möbelgeschäfte – woher ziehst du die Kraft und die Kreativität für deine verschiedenen unternehmerischen Aktivitäten?”

Fatime: „Ganz ehrlich: Die besten Ideen kommen mir nicht bei der Arbeit, sondern ganz häufig durch eigene Erfahrungen im Alltag. Ich bin als Geschäftsführerin und Mutter von zwei Kindern häufig unterwegs und stelle in vielen Situationen fest, wie kompliziert, schwierig und zeitaufwendig ganz banale Dinge sind: beim Einkaufen, bei Behördengängen, bei Freizeitaktivitäten, im Baumarkt, irgendwo in der Schlange stehen etc. Dann denke ich immer, das muss doch auch einfacher gehen und spreche mit meinem Mann Engin darüber. Er ist Experte für Prozessautomatisierung und künstliche Intelligenz. Und dann entwickeln wir gemeinsam Ideen und Lösungen.

Heute bin ich Gesellschafterin in mehreren Unternehmen, Inhaberin der CETINKAYA Group und Geschäftsführerin des IT-Unternehmens cekaso. Wir beraten Unternehmen insbesondere im produzierenden Gewerbe und im Möbelhandel bei der Modernisierung ihrer Unternehmensprozesse. Dazu entwickeln wir entsprechende Softwarelösungen. Mithilfe von Selbstbedienungsterminals, digitalen Preisschildern, neuen Programmen, smarten Uhren für Verkäufer, Mobile-Shopping oder SaaS-Lösungen revolutionieren wir den Mittelstand und das Leben vieler Menschen: Das macht so großen Spaß, dass mir bei der Umsetzung und durch das Feedback unserer Kunde wieder neue Ideen kommen.”

SWANS: „Welchen Ratschlag würdest du unseren „Schwänen“ (die Frauen, die wir fördern) mitgeben?”

Fatime: „
Sucht euch Mentor:innen, von denen ihr lernen könnt. Für jeden Bereich, der euch wichtig ist, gibt es Expert:innen. Ich habe viel zu lange damit gewartet, weil ich glaubte, ich muss es aus eigener Kraft schaffen.

Heute habe ich viele Berater, Coaches oder auch Mentoren um mich herum. Euer Netzwerk ist das A und O für euren Erfolg. Arbeitet strategisch an eurer Community, lernt netzwerken und wie ihr gute Verbindungen aufbauen könnt. Irgendwer kennt immer jemanden, der jemanden kennt.”

SWANS: „Vielen Dank für das Gespräch!”

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