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Gonca Türkeli-Dehnert: „Ich war die erste türkischstämmige Mitarbeiterin im Kanzleramt“

Gonca Türkeli-Dehnert ist seit Februar 2018 Geschäftsführerin der Deutschlandstiftung Integration. Sie war nach verschiedenen Stationen in Wirtschaft und Rechtsberatung zuletzt im Arbeitsstab der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung im Bundeskanzleramt tätig. Im Interview mit SWANS erzählt sie von ihrer Jugend in Kreuzberg, ihrem Weg ins Kanzleramt und warum Frauen mit Zuwanderungsgeschichte aktuell gute Chancen in der Politik haben. Das Gespräch führte Maycaa Hannon. SWANS: Was prägte Ihren Lebensweg? Türkeli-Dehnert: Mein schulischer und beruflicher Werdegang war stark geprägt von der Unterstützung meiner Familie. Da mein Vater Lehrer war, kannte er sich mit dem Schulsystem in Deutschland aus und wollte früh, dass ich auf ein Gymnasium komme. Das war ein Glücksfall. Es war aber auch ein Wendepunkt und eine neue Erfahrung für mich. Plötzlich war ich auf einer Schule, deren Unterrichtssprache Französisch war. Meine deutschsprechenden Eltern konnten mir bei Schulfragen nicht mehr helfen, weil sie kein Französisch sprachen. Ich war also auf mich allein gestellt. Das Gymnasium war sehr prägend für mein Verständnis von Vielfalt und Verschiedenheit. Die Schülerinnen und Schüler kamen aus den unterschiedlichsten Ländern dieser Welt. Deshalb hat auch niemand in der Schülerschaft die Herkunft des anderen näher hinterfragt oder verurteilt. Vielfalt und Mehrsprachigkeit wurden als Bereicherung – nicht als Defizit – angesehen. Für diese Erfahrung bin ich dankbar. Während die Gesamterfahrung eher positiv war, gab es aber auch Ablehnung. Ein Lehrer sagte mir einmal, ich hätte einem deutschen Kind den Platz an diesem anspruchsvollen Gymnasium weggenommen. Es ist nicht leicht für ein Kind, mit dieser Form von Rassismus umzugehen, gegen die man sich nicht richtig zur Wehr setzen kann. Diese bittere Erfahrung ist mir noch heute im Gedächtnis geblieben. So verletzend das auch war, so lehrreich war es auch. Ich lernte, dass ich nicht erlauben darf, dass negative Erfahrungen mein Leben bestimmen. Ich habe mich deshalb später im Leben nie mehr in einer Opferrolle wiedergefunden. Ich wollte mich auch nicht in eine solche drängen lassen. Mir sind allerdings auch viele Diskriminierungserfahrungen erspart geblieben. Im Gegensatz zu anderen Kindern aus Zuwandererfamilien etwa musste ich nicht um eine Gymnasialempfehlung kämpfen. SWANS: Ihr Leben war komplett frei von Rassismuserfahrungen? Schließlich sind Sie in Kreuzberg aufgewachsen, wie waren Ihre Erfahrungen damals? Türkeli-Dehnert: Kreuzberg war früher vor dem Mauerfall unterteilt in Kreuzberg 36 und in Kreuzberg 61. Die sind örtlich nicht weit weg voneinander, aber die Unterschiede sind schon deutlich. Das Kreuzberg 36 umfasste die Ecke um das Kottbusser Tor, rund um das Migrantengeschehen. Das Kreuzberg 61 galt schon damals als das Intellektuellere, weniger Ghettoisierte, im Vergleich natürlich. Wir waren damals die einzige türkische Familie in dem Haus, in dem wir gelebt haben. Viele der Schüler in Kreuzberg kamen schon vor 30 Jahren aus dem türkisch-arabischen Raum, aber zahlenmäßig ist das kein Vergleich zu den Verhältnissen in Kreuzberg heute. Ich bin in Kreuzberg nur vier Jahre zur Grundschule gegangen, habe dort aber auch Unterstützung von meiner Grundschullehrerin erfahren. Deswegen kann ich sagen, dass ich in Kreuzberg eine gute Zeit hatte. Vielleicht lebe ich deshalb wieder gerne hier. Außerdem glaube ich, dass Rassismus keine Bezirksgrenzen kennt. Ich würde sogar behaupten, dass man dort, wo es wenig Vielfalt gibt, mehr Rassismus findet. SWANS: Wer hat am meisten an Sie geglaubt? Türkeli-Dehnert: Zu den Menschen, die an mich geglaubt haben, gehört definitiv die ehemalige Staatsministerin für Integration Prof. Maria Böhmer. Sie hat damals als Integrationsbeauftragte meine Initiativbewerbung auf den Tisch bekommen und trotz einer langwierigen Sicherheitsüberprüfung an meiner Einstellung im Bundeskanzleramt festgehalten und das, obwohl ich kaum Berufserfahrung hatte. Hinzu kam, dass ich die erste türkischstämmige Mitarbeiterin im Bundeskanzleramt war. Es war also nicht selbstverständlich, dass die Staatsministerin so geduldig mit meiner Situation war. Auch ihr Büroleiter, Herr Ingo Behnel, der heute Mentor bei der Deutschlandstiftung Integration ist, hat mich damals auch sehr unterstützt und an mich geglaubt. Bis heute stehen mir beide bei Karrierefragen mit Rat und Tat zur Seite und helfen mir, den richtigen Weg einzuschlagen. Dieses informelle Mentoring hat mir persönlich sehr geholfen in meiner beruflichen Entwicklung. Deshalb möchte ich diese Unterstützung auch denjenigen zukommen lassen, die sie nicht aus ihrem eigenen sozialen Umfeld generieren können. Ich war jahrelang Lesepatin und habe in Kreuzberger Grundschulen Mädchen beim Lesen, in Mathe oder bei anderen Themen unterstützt. Unser Mentoring-Verhältnis hat sich nicht auf die Schule beschränkt. Wir sind etwa zusammen ins Theater gegangen oder ich habe den Mädchen meinen Arbeitsplatz gezeigt. Jemandem eine neue und unbekannte Welt zu zeigen, ist auch eine vielleicht nicht klassische aber vielleicht genauso wichtige Form des Mentorings. SWANS: Werden Sie unterschätzt? Haben Sie immer an sich geglaubt? Türkeli-Dehnert: Wie jeder andere Mensch, hatte auch ich Phasen, in denen ich an mir selbst gezweifelt habe: z.B in Staatsexamens- oder Bewerbungsphasen, oder vor meinem Berufseinstieg. Hinzukommt, dass es immer wieder – insbesondere im Arbeitsleben – Menschen gibt, die versuchen, einem das Gefühl zu vermitteln, man sei nicht gut genug. Sie versuchen einen – aus welcher Motivation heraus auch immer – zu verunsichern. Da darf man nicht zu empfindlich sein. Man sollte an sich selbst und an seine Fähigkeiten glauben. Andererseits kann ein wenig Selbstzweifel auch gesund und Ansporn sein, um das Beste aus sich selbst herauszuholen. Ich glaube, man sollte immer ein gesundes, aber kritisches Verhältnis zu sich selbst haben. SWANS: Wie stehen Sie zur Frauen-Quote? Türkeli-Dehnert: Hätten Sie mir diese Frage vor vier Jahren gestellt, dann hätte ich höchstwahrscheinlich gesagt, dass ich gegen eine Frauenquote bin, weil ich ja selbst keine Quotenfrau sein möchte. Aber angesichts der ausgebliebenen Fortschritte der letzten Jahre, gerade wenn ich mir die Zusammensetzung des aktuellen Bundestags anschaue, dann sehe ich, dass Frauen stark unterrepräsentiert sind. Das kann wohl kaum an der Qualifikation liegen, wenn doch die Bildungsabschlüsse der Mädchen statistisch besser sind. Wenn wir es im Jahr 2018 nicht schaffen, eine sichtbare Berücksichtigung von Frauen auf allen Ebenen und in allen Bereichen hinzubekommen, dann brauchen wir höchstwahrscheinlich doch eine Quote. Vielleicht keine starre Quote, aber wir müssen ein System finden, in dem das besser funktioniert. SWANS: Es gibt das Argument, dass ein Migrationshintergrund bei Frauen ein verstärkender Faktor für Benachteiligung sein kann, wie sehen Sie das? Türkeli-Dehnert: Ich

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Ilayda Kaplan: „Unsere Generation muss die Probleme der Gesellschaft thematisieren“

layda Kaplan ist Fotografin und studiert Kulturwissenschaften an der Euroopauniversität Viadrina in Frankfurt (Oder). Gemeinsam mit Nilgün Akinci hat die 23-Jährige das Fotoprojekt „Shades of Persistence“ ins Leben gerufen, in dem sie engagierte Kopftuchträgerinnen porträtiert, um auf die Vielfalt und die Konflikte innerhalb der muslimischen Community aufmerksam zu machen. Mit SWANS spricht sie darüber, wie Musliminnen mehr zusammenhalten müssen und über die Verantwortung der jüngeren Generation, auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen. Das Gespräch führte Maycaa Hannon. SWANS: In deinem Fotoprojekt „Shades of Persistence“ porträtierst du verschiedene Frauen, die Hijab oder Turban tragen. Wie bist du auf die Idee gekommen? Kaplan: Ich habe viele Freundinnen, die sich als Kopftuchträgerinnen bezeichnen. Sie tragen es in den unterschiedlichsten Formen, so wie sie es für schön empfinden. Das Kopftuch ist ein viel diskutiertes Thema in den Medien, aber der Diskussionsverlauf hat nie das wiedergespiegelt, was ich über meine Freundinnen oder andere Kopftuch tragenden Frauen gelernt habe: Sie sind alle schöne, unabhängige, intelligente und emanzipierte Frauen, von denen ich viel lerne. Diese Repräsentation hat mir gefehlt. Ich wollte mit dem Projekt diese Vielfalt vor Augen führen. Was mir auch wichtig war: Ich wollte zeigen, dass Frauen mehr zusammenhalten müssen. Das ist ein großes Thema, das viele Frauen beschäftigt, aber die Kopftuchtragenden der muslimischen Community trifft es besonders. In jeder Feminismus-Debatte lautet der Grundkonsens: „Frauen müssen zusammenhalten“. Die Wahrheit ist für sie zurzeit weit davon entfernt: Kopftuchtragende Frauen werden von vielen nicht ernstgenommen. Zusätzlich gibt es noch die Unterschiede innerhalb der muslimischen Community – einige werden ausgegrenzt aufgrund ihrer Art, das Kopftuch zu tragen. Meiner Meinung nach sollten wir diese Frauen aufgrund ihrer Diversität feiern. Deswegen habe ich “Shades of Persistence“ begonnen. SWANS: Welche Reaktionen hast du auf dieses Projekt bekommen? Wie kam es an? Kaplan: In meinem persönlichen Umfeld waren die Reaktionen sehr positiv. Es kam mir viel Dankbarkeit und Unterstützung entgegen. Das hat mich sehr motiviert und mir die Bestätigung gegeben, dass das Projekt einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag leistet. Außerhalb meines persönlichen Umfelds war das etwas anders. Da fällt mir sofort die Kommentarspalte ein, als ich dem Magazin Edition F ein Interview gegeben hatte. Einige der weniger konstruktiven Kommentare kamen von Frauen, die zum Teil wohl selbst der muslimischen Community angehören. Einige ihrer Kommentare haben die Verhüllung einiger der Models kritisiert. Die Rede war von „Nein, das ist nicht der richtige Weg.“ Darum ging es uns in diesem Projekt aber nicht. Einige Kommentare bezogen sich teilweise auf die Unterdrückung der Frauen in bestimmten Ländern, darum ging es mir auch nicht. Es ging nicht um Politik im Ausland, sondern um die Vielfalt innerhalb dieser Community. Als jüngerer Mensch sehe ich es als Aufgabe von mir und meiner Generation, die vorhandenen Plattformen zu nutzen, um die Probleme der Gesellschaft zu thematisieren und dadurch eine bessere Gesellschaft zu kreieren. SWANS: Wer hat dich besonders motiviert? Wer hat dich besonders herausgefordert oder unterschätzt? Kaplan: Meine Eltern haben mich auf jeden Fall immer unterstützt, auch wenn es nicht immer einfach war für sie, meine Ziele und Wünsche nachzuvollziehen. Wir sind auch einfach verschiedene Generationen. Aber ich hatte es da schon einfacher als meine Familie: Ich gehöre zur dritten Generation, meine Mama ist schon hier aufgewachsen. Ich bin in Berlin in den 90er groß geworden. Multikulti war da schon sehr fortgeschritten – damit wurden meine Ziele und Wünsche mehr akzeptiert. Unterschätzt habe ich mich meist selbst. Früher war ich sehr schüchtern und habe zu den Frauen aufgeschaut, die so sind, wie ich jetzt versuche zu werden. Besonders Frauen mit einem sichtbaren Migrationshintergrund, also auch mit einer ähnlichen Haut- oder Haarfarbe wie ich. In einer Mehrheitsgesellschaft, die hauptsächlich blond und blauäugig ist, fiel ich definitiv auf. Aber Leute, die aussehen wie ich, wurden in Deutschland nie wirklich sichtbar repräsentiert. Ich habe immer nach einem Vorbild gesucht, aber diese Vorbilder waren meist in Amerika und haben Musik gemacht. SWANS: Genau deswegen gibt es jetzt ja unseren Blog! Kaplan: Vor vier Jahren habe ich dann mit der Fotografie angefangen und meine ersten eigenen Sachen hochgeladen. Es gab durchaus gute Reaktionen, aber ich habe erkannt, dass ich noch mehr Potential hatte und da definitiv Luft nach oben ist. Meine Ideen und Projekte kommen meistens aus meinem inspirierenden Umfeld. Viele meine Freunde haben ebenfalls einen sichtbaren Migrationshintergrund und sind auch in Deutschland geboren. Sie vertreten ihre Meinungen ebenfalls, aber drücken sie auf ihre Art aus – sei es Poetry, Film, Musik oder Tanz. Ich sehe das sehr gerne. Das gibt mir Hoffnung in diese Generation. Das treibt mich an, mit meiner Fotografie weiter zu machen. SWANS: Wie stehst du zur Frauenquote? Kaplan: Als Feministin bin ich für die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Ich verstehe die Intention hinter der Frauenquote, aber ich glaube nicht, dass sie die Lösung ist. Niemand möchte nur eine Stelle bekommen aufgrund irgendeiner Quote. Ich kann aber verstehen, dass zunächst der vorherrschende Status Quo aufgebrochen werden muss. Sie wird in meinem Umfeld auch ständig diskutiert. Das ist total wichtig und gibt mir Hoffnung für die Zukunft, dass wir zu einer aktiven Generation gehören, die die vorherrschende Situation verändern wird. SWANS: Danke für das Gespräch!

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Mounira Latrache: „Mein Migrationshintergrund hat mir eine andere Offenheit gegeben für Innovation“

Mounira Latrache hat ihren Job als Pressesprecherin bei Google gekündigt, um das Start-Up Connected Business zu gründen. Sie ist ausgebildet als systemischer Coach und Yogalehrerin und gibt Workshops zu Achtsamkeit und emotionaler Intelligenz im Berufsleben. Davor war sie unter anderem Marketingmanagerin bei Red Bull und Projektmanagerin bei BMW. Im Gespräch mit SWANS erzählt sie, wie es war, als Kind tunesischer Eltern in Bayern aufzuwachsen, wer ihre Vorbilder sind und wie ihr Anderssein im Berufsleben dabei geholfen hat, neue Ideen umzusetzen. Das Gespräch führte Maycaa Hannon. SWANS: Wie würdest du deine Kindheit beschreiben? Latrache: Ich bin geboren und aufgewachsen im tiefsten Bayern und meine beiden Eltern sind aus Tunesien, damit bin ich das klassische Integrationskind. Mein Vater kam in der Nachkriegszeit als Gastarbeiter nach Deutschland. Damals fuhren Autos durch die tunesischen Dörfer und haben förmlich jeden eingeladen, der sich im Entferntesten vorstellen konnte, in Deutschland zu arbeiten. Nach ein paar Jahren hatte er sich entschlossen, zu heiraten. Er entschied sich, eine Tunesierin zu heiraten. Meine Eltern hatten keine Kennenlernphase, sondern haben sich so richtig durch eine arrangierte Ehe kennen gelernt. Im tiefsten Bayern bin ich teilweise als einziges Ausländerkind in der Klasse groß geworden. Damals war es noch nicht so Multi-Kulti wie heute. Was sich auf jeden Fall durch mein Leben durchgezogen hatte, war die Tatsache, dass ich nicht wirklich in eine der beiden Welten reingepasst habe. Ich denke, so geht es vielen Migrantenkindern. Meine Eltern haben immer zu mir gesagt: „Du bist Tunesierin!“ Da ich in Bayern geboren wurde und hier aufgewachsen bin, war ich aber auch deutsch. Meine Freunde und mein damaliges Umfeld haben mich immer gefragt: „Wo kommst du her?“ Es war ja vom Aussehen sehr offensichtlich, dass ich keine Deutsche war. Die Frage stellen mir auch heute noch die Leute. Es war mir also klar, Deutsche kann ich nicht sein. Da spielt der Fakt, dass man hier geboren ist, keine Rolle. So werde ich einfach nicht gesehen. Ich habe mich nicht ausgegrenzt gefühlt, weil ich wusste, dass die Leute aus Interesse fragen und nicht, weil es einen rassistischen Hintergrund hat. Wenn du Jugendliche bist, dann stört dich das total. Du bist anders! Aber eigentlich willst du nur dazugehören und so sein wie die anderen. Wie die anderen sein, das war schwierig, alleine schon mein Vorname – den konnte keiner aussprechen, meinen Nachnamen erst recht nicht. Bei meinen Haaren ist es ähnlich. Ich habe sehr lockiges Haar, aber ich fand sie furchtbar und wollte immer glattes Haar, wie die anderen Mädchen in meiner Schule. SWANS: Diese Erfahrungen kennen unsere Leserinnen und wir im SWANS Team auch aus unserer Kindheit. Wann hat sich das für dich verändert? Wie siehst du es heute? Latrache: Ich habe irgendwann den Punkt erreicht, wo ich gesagt habe: Wenn ich nicht das eine oder das andere bin, dann kann ich es mir ja eigentlich aussuchen. Ich habe mir dann einfach das Beste aus beiden Kulturen ausgesucht und dann habe ich irgendwann mich gefunden und gesagt: „Das bin ich jetzt einfach!“ Das ist spannenderweise auch etwas, das mir im Arbeitsleben total geholfen hat. Diese Einstellung, dass ich verstanden habe, ich kann es mir immer aussuchen. Das ist ein Talent, das habe ich in meinem beruflichen Werdegang total ausnutzen können, weil ich nicht in Schubladen gedacht habe. Ich musste ja immer meinen eigenen Weg finden. Ich fand es spannend, dieses Anderssein, neue Wege gehen, innovativ denken! In vielen Weisen war es für mich sehr natürlich, während es für andere oft eine Schwierigkeit war. Ich war es gewohnt, Sachen zu hinterfragen und sage häufig schneller als andere „Lass mal anders machen“. Dadurch war ich natürlich ein andersartiger Vogel im Konstrukt, aber was ich gemacht habe, hat häufig einfach funktioniert. Damit war es ein gutes Beispiel für andere. Wichtig war: Mir was es egal, ob Leute es zu Beginn toll fanden. Ich konnte es durchziehen bis zum Schluss. Das lag auch mit Sicherheit daran, dass ich es gewohnt war, nicht rein zu passen. Ich denke, mein Migrationshintergrund hat mir eine ganz andere Offenheit gegeben für Innovation und einen einzigartigen Blick für neue Wege und neue Lösungen. SWANS: Hast du das Gefühl, du wurdest in deinem Leben mehr gefördert oder unterschätzt? Latrache: Ich hatte schon immer wieder Lehrer, die meiner Mutter suggerierten, dass aus mir nie was werden würde – einem Lehrer zu widersprechen, wurde nicht von allen gern gesehen… Und ich hatte auch Glück: Ein paar Lehrer haben erkannt, dass ich eine kreative Kraft habe. Im Berufsleben war es ähnlich. Ich hatte immer Vorgesetzte, die mich machen lassen haben. Die mir in meiner Andersartigkeit eine Unterstützung waren und mich immer motiviert haben, weiter zu machen. Ich habe mich immer darauf konzentriert, dass ich sehr gute Leistung bringe und habe das immer in den Vordergrund gestellt. Mein Migrationshintergrund war nie ein Identifikationsthema. Auch mein Dasein als Frau habe ich nicht in den Vordergrund gestellt. Ich habe fest geglaubt, dass ich alles machen kann, was ich möchte. Jeder Job und jedes Projekt, solange ich zeige, was ich kann. Es konnte mich gar nichts aufhalten, mein Wille war viel zu groß dafür! SWANS: Nur aufgrund unserer Leistung aufzufallen und durch unseren starken Willen unsere Ziele zu erreichen ist der Traum für viele. Die öffentliche Debatte diskutiert eine Frauenquote als Möglichkeit, Frauen in Führungsposition zu kriegen, um diesen Traum zu realisieren. Wie stehst du dazu? Latrache: Für mich ist die Frage der Quote nicht entscheidend. Es ist doch eher so, dass Frauen auf eine andere Weise arbeiten wollen. Sie haben einfach andere Vorstellungen davon, wie sie arbeiten möchten. Sie brauchen einfach andere Umfelder in ihrer Arbeit. Ich glaube, dass ganze viele Frauen nicht in diesen Positionen sind, weil sie kein Bock haben, sich zu verhalten wie die Männer, die diese Positionen innehaben. Deswegen ist es für mich wichtiger, dass Firmen Kulturen schaffen, in denen sowohl die „männlichen“, als auch die „weiblichen“ Qualitäten Raum haben. Das ist das Prinzip der Arbeit, die ich zurzeit mache. In meinem neuen Start-Up „Connected Business“ geht es darum, dass diese Qualitäten entscheidend sind für ein Unternehmen:

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Khola Maryam Hübsch: „Wenn andere an dich glauben, wächst du total über dich hinaus“

Khola Maryam Hübsch ist Journalistin, Schriftstellerin und Publizistin aus Frankfurt am Main. Als freie Referentin und beliebter Talkshowgast vertritt sie die Emanzipation im Islam und steht für seine Vereinbarung mit Menschenrechten, Demokratie und Aufklärung. Als Vertreterin der islamischen Sondergemeinschaft Ahmadiyya hält sie Vorträge und Vorlesungen an Universitäten und geht in den interreligiösen Dialog. Im Gespräch mit SWANS zeigt sie eine sehr persönliche Seite von sich und erzählt von Erfahrungen, die in anderen Interviews nicht thematisiert werden. Wir wollten wissen, wie es ihr in der Schulzeit ging und welche Erlebnisse ihren Werdegang geprägt haben. Das Gespräch führte Maycaa Hannon. SWANS: Wer hat immer an Sie geglaubt? Hübsch: Ich bin mit sieben Geschwistern aufgewachsen, da hat der Einzelne nicht so viel Aufmerksamkeit bekommen. Auch wenn ich also aktiv nicht großartig gefördert wurde, habe ich doch gespürt, dass meine Eltern an mich geglaubt haben. Bei Niederlagen und Problemen hatten sie immer ein offenes Ohr und haben mir Mut gemacht. Sie haben mich immer angespornt, weiter zu machen und nicht aufzugeben. Meine Eltern waren mir Vorbilder, da sie eine lebendige Beziehung zu Gott hatten. Mein Vater hatte dadurch eine unglaubliche Zuversicht und Ausstrahlung. Schwierigkeiten, die mir erdrückend erschienen, waren nach Gesprächen mit ihm wieder peanuts. Es gibt eine Macht, die viel stärker ist als jemand Böses mir je zufügen kann. Wenn ich mich dahin wende und im Gebet auch um Kraft bitte, dann wird sich alles zum Guten fügen. SWANS: Wer hat Sie unterschätzt? Hübsch: Mein Vater war Aktivist, Schriftsteller, Imam und ein Intellektueller. Zuhause haben wir so ganz nebenbei sehr vieles mitbekommen – zum Beispiel, dass da tausende von Büchern und Zeitungen herumlagen. In diesem Klima bin ich groß geworden. In der Schule wurde ich aber behandelt, als würde ich aus einer bildungsfernen Schicht kommen, gemäß dem klassischen Migranten-Vorurteil. Dann trug ich auch noch ein Kopftuch. Somit wurde ich immer sehr unterschätzt. Das hat sich dann so gezeigt, dass ich bei anfänglichen Notenbesprechungen in der Schule meist schlechte Noten bekommen habe und, sobald ich Prüfungen schriftlich abgegeben habe, auf einmal einen Riesensprung nach oben gemacht habe. In der Uni waren die Dozenten regelmäßig sehr irritiert, dass die beste Arbeit mit dem deutschen Namen der Kopftuch-Studentin gehörte, der sie das wohl als letztes zugetraut hätten. Ich glaube, diese Form der Fehleinschätzung kommt häufig vor. Das liegt vielleicht auch daran, dass die Migranten, die in den 70er-Jahren nach Deutschland gekommen sind, überwiegend aus bildungsfernen Schichten kamen. Das Bild der stereotypischen Gastarbeiterfamilie hat sich bei Lehrern eingeprägt. Sie haben dementsprechend eine Erwartungshaltung an diese Kinder gestellt. Das ist gefährlich, denn dadurch können selbsterfüllende Effekte in Gang kommen. Ich habe keine Gymnasialempfehlung bekommen, aber später einen Abiturdurchschnitt von 1,1 gehabt. Diese Abweichung zeigt, wie wenig einem zugetraut wird – es kann aber auch Ansporn sein. Ich habe ohne Gymnasialempfehlung das Gymnasium besucht, weil es in unserer Familie so üblich war. Ich hatte das Bedürfnis, es auf jeden Fall zu schaffen, um den Erwartungen gerecht zu werden. Die Gefahr ist allerdings, dass nicht alle diese Strategie fahren, da nicht alle das nötige Selbstbewusstsein dazu haben. Dadurch kann auch sehr leicht ein Minderwertigkeitskomplex entwickelt werden. Es ist gefährlich, dass zusätzlich dazu unser Bildungssystem noch total diskriminiert. SWANS: Wo war es für Sie besonders schwer? Wo besonders einfach? Hübsch: Schule ist mir leichtgefallen. Auch das Studium, wobei es immer zwei Seiten hatte. Die eine war die fachliche und intellektuelle, die ist mir leichtgefallen. Das soziale war jedoch nicht immer ohne. So war ich im Studium schon mal Outsider. Ich hatte es in einen Studiengang mit einem hohen NC reingeschafft, war die Einzige mit einem Migrationshintergrund, wurde ständig komisch angeschaut, niemand traute mir etwas zu. Da musste ich mir meinen Platz erstmal erarbeiten. Viele glaubten auch, dass ich kein Deutsch kann. Bis ich mir meine soziale Stellung erarbeitet hatte, ist der Kurs meist schon wieder um. Es fängt also wieder von vorne an, in jedem Seminar. Dazu ist das Studium so anonym. Das kann anstrengend sein, war für mich aber nicht so schlimm, weil ich ohnehin viele soziale Kontakte hatte – das fängt es dann auf. Das sind so Hürden des täglichen Lebens. Gerade mit Kopftuch hast du da schnell einen Stempel auf. Du wird in Schubladen gesteckt, gegen die du erstmal ankämpfen musst. So giltst du zum Beispiel als rückständig, sehr konservativ oder ideologisch. Du wirst auch sehr viel gefragt. Einerseits ist es positiv, da du so ins Gespräch kommst. Andererseits bist du dadurch in einer Rechtfertigungsrolle – die kann auch nerven. Wobei ich immer versucht habe, es konstruktiv anzugehen. Diese Grundhaltung ist wichtig. SWANS: Wer hat Sie besonders gepusht? Hübsch: Es gab eine Deutschlehrerin, die sehr viel Potenzial in mir gesehen hat. Sie hat nicht unbedingt etwas Besonderes getan – außer mir berechtigt gute Noten zu geben und diese vor anderen zu verteidigen. Sie hat mich jetzt nicht empfohlen oder ähnliches; es ist aber wichtig, dass es Leute gibt, die wertschätzen, was du tust. Ich glaube dann in der Gemeinde, ich war ja da in der Jugendarbeit tätig, da haben viele Potenzial gesehen und in diesem Kontext gab es viele, die mich gepusht haben. So bin ich in sehr jungen Jahren in den Vorstand gekommen. Das war schon recht ungewöhnlich, da ich auch einer der jüngsten war. Ich war deutschlandweit für den interreligiösen Dialog zuständig. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich gar nicht, was das bedeutet. Das wurde mir aber damals zugetraut und ich bin da hineingewachsen. Das war schon irgendwo ein Sprung ins kalte Wasser, aber weil es mir zugetraut wurde, habe ich das gar nicht als Problem gesehen und es mir selbst dann auch zugetraut. Das ist ja normal, wenn andere einen mit Aufgaben beladen, die erst sehr schwierig erscheinen. Wenn diese Personen aber an einen glauben, dann wächst du auch total über dich hinaus. Da werden dann Kräfte frei, die dich reifen lassen. SWANS: Wie stehen Sie zur Quotendiskussion? Hübsch: Es ist schwierig. Die Quote ist irgendwo eine sinnvolle Sache, denn in vielen Bereichen wird es nicht ohne gehen, bis ein Umdenken stattfindet. Wobei ich es

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