Mounira Latrache: „Mein Migrationshintergrund hat mir eine andere Offenheit gegeben für Innovation“
Mounira Latrache hat ihren Job als Pressesprecherin bei Google gekündigt, um das Start-Up Connected Business zu gründen. Sie ist ausgebildet als systemischer Coach und Yogalehrerin und gibt Workshops zu Achtsamkeit und emotionaler Intelligenz im Berufsleben. Davor war sie unter anderem Marketingmanagerin bei Red Bull und Projektmanagerin bei BMW. Im Gespräch mit SWANS erzählt sie, wie es war, als Kind tunesischer Eltern in Bayern aufzuwachsen, wer ihre Vorbilder sind und wie ihr Anderssein im Berufsleben dabei geholfen hat, neue Ideen umzusetzen. Das Gespräch führte Maycaa Hannon. SWANS: Wie würdest du deine Kindheit beschreiben? Latrache: Ich bin geboren und aufgewachsen im tiefsten Bayern und meine beiden Eltern sind aus Tunesien, damit bin ich das klassische Integrationskind. Mein Vater kam in der Nachkriegszeit als Gastarbeiter nach Deutschland. Damals fuhren Autos durch die tunesischen Dörfer und haben förmlich jeden eingeladen, der sich im Entferntesten vorstellen konnte, in Deutschland zu arbeiten. Nach ein paar Jahren hatte er sich entschlossen, zu heiraten. Er entschied sich, eine Tunesierin zu heiraten. Meine Eltern hatten keine Kennenlernphase, sondern haben sich so richtig durch eine arrangierte Ehe kennen gelernt. Im tiefsten Bayern bin ich teilweise als einziges Ausländerkind in der Klasse groß geworden. Damals war es noch nicht so Multi-Kulti wie heute. Was sich auf jeden Fall durch mein Leben durchgezogen hatte, war die Tatsache, dass ich nicht wirklich in eine der beiden Welten reingepasst habe. Ich denke, so geht es vielen Migrantenkindern. Meine Eltern haben immer zu mir gesagt: „Du bist Tunesierin!“ Da ich in Bayern geboren wurde und hier aufgewachsen bin, war ich aber auch deutsch. Meine Freunde und mein damaliges Umfeld haben mich immer gefragt: „Wo kommst du her?“ Es war ja vom Aussehen sehr offensichtlich, dass ich keine Deutsche war. Die Frage stellen mir auch heute noch die Leute. Es war mir also klar, Deutsche kann ich nicht sein. Da spielt der Fakt, dass man hier geboren ist, keine Rolle. So werde ich einfach nicht gesehen. Ich habe mich nicht ausgegrenzt gefühlt, weil ich wusste, dass die Leute aus Interesse fragen und nicht, weil es einen rassistischen Hintergrund hat. Wenn du Jugendliche bist, dann stört dich das total. Du bist anders! Aber eigentlich willst du nur dazugehören und so sein wie die anderen. Wie die anderen sein, das war schwierig, alleine schon mein Vorname – den konnte keiner aussprechen, meinen Nachnamen erst recht nicht. Bei meinen Haaren ist es ähnlich. Ich habe sehr lockiges Haar, aber ich fand sie furchtbar und wollte immer glattes Haar, wie die anderen Mädchen in meiner Schule. SWANS: Diese Erfahrungen kennen unsere Leserinnen und wir im SWANS Team auch aus unserer Kindheit. Wann hat sich das für dich verändert? Wie siehst du es heute? Latrache: Ich habe irgendwann den Punkt erreicht, wo ich gesagt habe: Wenn ich nicht das eine oder das andere bin, dann kann ich es mir ja eigentlich aussuchen. Ich habe mir dann einfach das Beste aus beiden Kulturen ausgesucht und dann habe ich irgendwann mich gefunden und gesagt: „Das bin ich jetzt einfach!“ Das ist spannenderweise auch etwas, das mir im Arbeitsleben total geholfen hat. Diese Einstellung, dass ich verstanden habe, ich kann es mir immer aussuchen. Das ist ein Talent, das habe ich in meinem beruflichen Werdegang total ausnutzen können, weil ich nicht in Schubladen gedacht habe. Ich musste ja immer meinen eigenen Weg finden. Ich fand es spannend, dieses Anderssein, neue Wege gehen, innovativ denken! In vielen Weisen war es für mich sehr natürlich, während es für andere oft eine Schwierigkeit war. Ich war es gewohnt, Sachen zu hinterfragen und sage häufig schneller als andere „Lass mal anders machen“. Dadurch war ich natürlich ein andersartiger Vogel im Konstrukt, aber was ich gemacht habe, hat häufig einfach funktioniert. Damit war es ein gutes Beispiel für andere. Wichtig war: Mir was es egal, ob Leute es zu Beginn toll fanden. Ich konnte es durchziehen bis zum Schluss. Das lag auch mit Sicherheit daran, dass ich es gewohnt war, nicht rein zu passen. Ich denke, mein Migrationshintergrund hat mir eine ganz andere Offenheit gegeben für Innovation und einen einzigartigen Blick für neue Wege und neue Lösungen. SWANS: Hast du das Gefühl, du wurdest in deinem Leben mehr gefördert oder unterschätzt? Latrache: Ich hatte schon immer wieder Lehrer, die meiner Mutter suggerierten, dass aus mir nie was werden würde – einem Lehrer zu widersprechen, wurde nicht von allen gern gesehen… Und ich hatte auch Glück: Ein paar Lehrer haben erkannt, dass ich eine kreative Kraft habe. Im Berufsleben war es ähnlich. Ich hatte immer Vorgesetzte, die mich machen lassen haben. Die mir in meiner Andersartigkeit eine Unterstützung waren und mich immer motiviert haben, weiter zu machen. Ich habe mich immer darauf konzentriert, dass ich sehr gute Leistung bringe und habe das immer in den Vordergrund gestellt. Mein Migrationshintergrund war nie ein Identifikationsthema. Auch mein Dasein als Frau habe ich nicht in den Vordergrund gestellt. Ich habe fest geglaubt, dass ich alles machen kann, was ich möchte. Jeder Job und jedes Projekt, solange ich zeige, was ich kann. Es konnte mich gar nichts aufhalten, mein Wille war viel zu groß dafür! SWANS: Nur aufgrund unserer Leistung aufzufallen und durch unseren starken Willen unsere Ziele zu erreichen ist der Traum für viele. Die öffentliche Debatte diskutiert eine Frauenquote als Möglichkeit, Frauen in Führungsposition zu kriegen, um diesen Traum zu realisieren. Wie stehst du dazu? Latrache: Für mich ist die Frage der Quote nicht entscheidend. Es ist doch eher so, dass Frauen auf eine andere Weise arbeiten wollen. Sie haben einfach andere Vorstellungen davon, wie sie arbeiten möchten. Sie brauchen einfach andere Umfelder in ihrer Arbeit. Ich glaube, dass ganze viele Frauen nicht in diesen Positionen sind, weil sie kein Bock haben, sich zu verhalten wie die Männer, die diese Positionen innehaben. Deswegen ist es für mich wichtiger, dass Firmen Kulturen schaffen, in denen sowohl die „männlichen“, als auch die „weiblichen“ Qualitäten Raum haben. Das ist das Prinzip der Arbeit, die ich zurzeit mache. In meinem neuen Start-Up „Connected Business“ geht es darum, dass diese Qualitäten entscheidend sind für ein Unternehmen: