Sara Weber: „Gemeinsam mit Menschen wachsen zu können, ist so wertvoll.“

Sara Weber, geboren 1987, ist Deutsch-Amerikanerin und lebt in München. Sie studierte Publizistik und Buchwissenschaft in Mainz und besuchte die Deutsche Journalistenschule in München. Nach ihrer Zeit als freie Autorin für u.a. DIE ZEIT und die Süddeutsche Zeitung arbeitete sie fünf Jahre bei LinkedIn. Sie schreibt die SPIEGEL-Kolumne „ÜberArbeiten“. Ihr erstes Buch „Die Welt geht unter und ich muss trotzdem arbeiten?“ war 2023 ein SPIEGEL-Bestseller. Ihr zweites Buch „Das kann doch jemand anderes machen!“ erscheint im August 2024 bei Kiepenheuer & Witsch. Das Gespräch führte Zekiye Tolu. 

SWANS: „Wie würdest du deine Kindheit beschreiben?“ 

Sara Weber: „Ich bin in Bayern auf dem Dorf mit meiner alleinerziehenden Mutter in einem Mehrgenerationenhaushalt aufgewachsen. Mein Vater lebte und lebt in den USA. Ich empfand das als sehr schön und prägend. Es gab allerdings wenig People of Color in meiner Umgebung, in meiner Grundschulklasse war ich die einzige. Das hat für mich damals aber keine große Rolle gespielt. Es kamen zwar mal ein paar blöde Sprüche, aber da hat mir meine Familie beigebracht, dass es mir egal sein kann. Sie haben mir klar gemacht: Das ist deren Problem und nicht deins. Und das war im konservativen Bayern eine Einstellung, die für mich gut funktioniert hat. 

Als ich ins Gymnasium in die nächstgrößere Stadt kam, habe ich die Unterschiede bemerkt. Es war eine Art Eliteschule, in die viele Kinder aus eher wohlhabenden Familien gingen. Das waren Familien mit verheirateten Eltern, die zwei bis drei Kinder hatten. Die Mutter blieb meistens zu Hause, während der Vater in einem sehr gut bezahlten Job arbeitete. Meine Mutter hingegen hat an der Kasse gearbeitet, mein Vater hat in den USA gelebt und ich sah nicht aus wie alle anderen. Das war der Moment, als ich gemerkt habe, dass ich nicht so ganz reinpasse. Wenn ich hingegen in den Ferien bei meiner Familie in den USA war, war ich in einer anderen Position. Das war der Anfang einer Phase, in der ich herausfinden wollte, wie ich in diesen Kontext passe. Wie passen diese verschiedenen Lebensrealitäten, zwischen denen ich mich bewege, zusammen? Und was bedeutet das für meine Identität?“  

SWANS: Wie hast du Rassismus erlebt und wie bist du damit umgegangen?“ 

Sara Weber: „Den Alltagsrassismus gibt es immer – das wissen alle People of Color. Das geht von rassistischen Sprüchen bis hin zu ungefragt in die Haare fassen. Bestimmt gab es auch andere rassistische Formen der Diskriminierung, die mir damals gar nicht so bewusst waren. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich keine größeren Übergriffe erlebt habe. Ich hatte ein sehr angenehmes Umfeld aus Familie und Freund:innen, in dem ich gut eingebunden und geschützt war.  

Ich gehörte allerdings auch zu den Guten mit Migrationshintergrund, aus der Außenperspektive betrachtet – auch wenn ich persönlich es für höchstproblematisch halte, so zwischen Herkunftsländern zu unterscheiden. Aber in den 1990ern und 2000ern waren die USA ein sehr beliebtes Land, auf das man eher herauf- als herabgeblickt hat. Es gab dort coole Klamotten, die es hier in Deutschland noch nicht gab, es war ein Sehnsuchtsort. Das hat geholfen. Die USA waren damals sexy, sie hatten einen ganz anderen Status.“ 

SWANS: „Wer waren deine Vorbilder, die dich in deinem Leben bestärkt haben?“ 

Sara Weber: „Es gab während meiner Schulzeit keine anderen Schwarzen Personen in meinem Umfeld in Deutschland. Ich war auf einer sehr weißen, bayerischen Schule und das hat sich widergespiegelt. Ich hatte dennoch das Glück, dass ich von meiner Mutter, meinem Vater und meiner gesamten Familie bestärkt wurde. Es war ihnen wichtig, mir beizubringen, dass ich so wie ich bin, gut bin. Und wenn andere Menschen mir etwas Anderes erzählen, sagt es mehr über sie aus als über mich. Das ist eine sehr privilegierte und stärkende Denkweise, die dich nicht davor schützt, wenn du in Extremsituationen bist, in denen du wegen rassistischer Angriffe um deine Gesundheit oder dein Leben fürchten musst, aber hilft, Alltagssituationen besser wegzustecken.“ 

SWANS: „Welche Werte hast du mitbekommen?“ 

Sara Weber: „Die familiäre Verbindung schätze ich sehr, da ich sowohl in Deutschland, als auch in den USA in einem starken Familienverbund aufgewachsen bin. Ich habe eine sehr große Familie, die sich sehr nah ist. Sowohl in der Kernfamilie, als auch in der gewählten Familie ist immer jemand für mich da. Ich kann mich immer auf jemanden verlassen. Das ist ein tiefsitzender Wert, den ich immer mit mir rumtrage. Ich weiß, ich kann jederzeit um 5 Uhr morgens bei diesen Menschen vor der Tür stehen und sie würden keine Fragen stellen.  

Ein anderer Wert ist, seinem Bauchgefühl zu folgen und zu wissen, dass das einen richtig leitet. Und mir ist Geld als Statussymbol nicht wichtig. Wir alle brauchen natürlich Geld zum Leben, um ein Dach über dem Kopf zu haben, um zu essen, um unser Leben zu bestreiten. Aber Geld als Statussymbol brauche ich nicht. Ich habe kein Bedürfnis, viele teure Dinge zu besitzen. Die wahren Werte, die ich mitbekommen habe, sind Gesundheit, Familie, Zusammenhalt und Füreinander da sein. Danach gestalte ich mein Leben.“  

SWANS: „Auf welche der von dir gemeisterten Hürden bist du besonders stolz?“ 

Sara Weber: „Was mich beschäftigt hat, war die Studienzeit. Mir war nicht klar, was und wo ich studieren soll. Was steht mir beruflich offen? Die Schule fiel mir relativ leicht, aber ich war mir nicht sicher, ob ich überhaupt studieren soll. Meine Mutter hat mir geraten zu studieren. Ich hatte Lust darauf, aber ohne zu wissen, was das konkret bedeutet. Mir war nicht bewusst, wie das System funktioniert. Meine Mutter konnte mir auch nicht aus eigener Erfahrung berichten, wie das läuft. Andere hatten es da leichter, weil sie es von ihren Familien schon kannten. 

Zum Anderen waren wir finanziell nicht so aufgestellt, dass ich mir alles einfach leisten konnte. Während ich mit meinem BAföG haushalten musste, sind andere Student:innen in den Semesterferien in den Urlaub gefahren, haben ein Auslandssemester absolviert. Diese finanziellen Unterschiede, aber auch der Habitus von Menschen aus Akademiker:innen-Familien war für mich sehr klar und deutlich. 

Ebenso stellte die Kommunikation eine Herausforderung für mich dar. Es gab einfach andere Begrifflichkeiten, die ich vorher nicht kannte und erstmal recherchieren musste, so wie das Wort „Kommilitone“. Sich darin zurecht zu finden, ist mir teils schwergefallen. Diese Momente habe ich manchmal immer noch, dass ich in manchen Terminen denke: Dieser Raum ist nicht für mich. Eben weil ich eine Frau bin, weil ich Schwarz bin, weil ich nicht aus einer Akademiker:innen-Familie komme. Ich frage mich, ob sich das jemals einstellen wird.“ 

SWANS: „Wie bist du zu deinem Beruf gekommen?“  

Sara Weber: „Ich habe Publizistik und Buchwissenschaft studiert und damit war klar, dass ich in Richtung Journalismus, PR, Marketing oder Buchverlagswesen gehen kann. Ich hatte richtig Lust auf die Buchbranche, aber die meisten Praktika waren unbezahlt und bei einem Volontariat hätte man auch nur 400€ pro Monat verdient, was ich mir nicht leisten konnte. Es war dann auch eine finanzielle Entscheidung, weil mir diese Optionen nicht zur Verfügung standen. Dies führte mich zu Praktika im Journalismus-Bereich. Auch wenn sie schlecht bezahlt waren – sie waren immerhin bezahlt. So bin ich da reingerutscht, aber ich habe mich immer wieder gefragt, ob ich in diese Branche passe. Der Journalismus war damals noch sehr weiß und männlich geprägt – und ist auch heute nicht divers genug. Ich hatte den Eindruck, ich sehe hier niemanden, der so aussieht wie ich.  

Mein Weg zu meinem Beruf führte mich von einer Station in die nächste. Ich wurde von guten Vorgesetzten gefördert, sie haben mir zum Beispiel ein Volontariat empfohlen. Schließlich habe ich mich an der Deutschen Journalistenschule beworben, obwohl ich dachte, dass ich da gar nicht hin passe. Es gab wirklich viele Menschen, die mich unterstützt haben und mir vieles möglich gemacht haben. Dafür bin ich sehr dankbar. Wenn nicht die, die an der Macht oder in Führungspositionen sind, die Medienlandschaft diverser gestalten, wird sich auch nichts ändern. Dadurch habe ich gelernt, wie hilfreich es sein kann, wenn man solche Menschen im eigenen Umfeld hat, die einen großen Einfluss haben. Es macht einen Unterschied, wem sie die Hand reichen.“ 

SWANS: „In deinem neuen Buch Das kann doch jemand anderes machen! schreibst du darüber, wie Künstliche Intelligenz uns unterstützen kann. Wie können wir uns darauf vorbereiten, die Arbeitswelt mit Künstlicher Intelligenz (KI) positiv und gerecht zu gestalten?“ 

Sara Weber: „Ganz viele Menschen haben Angst vor Künstlicher Intelligenz. Diese Angst ist verständlich. Technologische Veränderung, die man nicht versteht, ist beängstigend. Es ist wichtig, dass wir diese Angst anerkennen und nicht kleinreden. 

Mein erster Ratschlag wäre deshalb, einfach mal ein paar Tools auszuprobieren. Teste Werkzeuge wie ChatGPT und du wirst merken, was sie können und was sie nicht können. Finde heraus, wobei sie dich unterstützen können. Wenn man sich zum Thema KI und Gesellschaft informieren möchte, sind Organisationen wie Algorithmwatch, Netzpolitik.org und D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt gute Anlaufstellen. 

Wir müssen außerdem anerkennen, dass es bei Künstlicher Intelligenz durchaus Gefahren gibt. Wir leben in einer diskriminierenden Gesellschaft. Wenn diese Technologien entwickelt werden, ist es sehr wahrscheinlich, dass diese diskriminierenden Muster sich auch in der Technologie widerspiegeln – sofern man nicht aktiv dagegen arbeitet. Im Idealfall sollte die Technologie die Diskriminierung reduzieren. Menschen diskriminieren auf verschiedenen Ebenen im Arbeitsmarkt: Frauen mit Kopftuch müssen sich häufiger bewerben als Frauen ohne Kopftuch, wer einen ausländisch klingenden Namen oder eine Behinderung hat, hat es schwerer, es gibt noch immer einen Gender Pay Gap. Deshalb ist es so wichtig, dass wir in der Technologieentwicklung Menschen haben, die sich mit diesen Themen auskennen und an den Stellen mitreden, an denen KI entwickelt, eingesetzt oder Entscheidungen über Einsatz von Technologien getroffen werden.  

An alle Frauen, People of Color, Menschen mit Behinderung, Menschen aus der Arbeiter:innen-Klasse, an die LGBTQ+-Community da draußen: Wir brauchen euch in diesem Bereich! Es ist wahnsinnig wichtig, dass wir dort so diverse Teams wie möglich haben. Wir sollten dafür sorgen, dass die Technologie, die Teil unseres Lebens wird, so wenig diskriminierend ist wie möglich. Es macht einen Unterschied, sich in Betriebsräten einzusetzen oder für Gewerkschaften zu engagieren. Denn auch diese Instanzen haben einen Einfluss darauf, welche Technologien im Arbeitsmarkt eingesetzt werden. Es ist bedeutsam, seine eigene Sichtweise darauf einzubringen.  

Außerdem ist es sinnvoll, sich für Parteien einzusetzen, die Gesetze entwerfen und verabschieden. Politisches, gesellschaftliches Engagement hilft uns, diese Themen in die Gesellschaft zu tragen, ein Bewusstsein zu schaffen und damit für uns alle eine Verbesserung zu bewirken. Letztlich sollte das Ziel der Technologie darin bestehen, unser Leben zu vereinfachen und zu verbessern – denn am Ende ist auch KI nur ein Werkzeug.“ 

SWANS: „Welche Themen sind jungen Mitarbeitenden der Generation Z mit Einwanderungsgeschichte aktuell wichtig?“  

Sara Weber: „Gute Bezahlung und Jobsicherheit sind die Basis. Es ist wichtig, dass wir einen armutsfesten Mindestlohn haben. Wenn die Basis gedeckt ist, sind Themen wie Flexibilität der Mitarbeitenden wichtig. Dass es die Möglichkeit gibt, aus dem Homeoffice zu arbeiten, für flexible Arbeitszeiten mit Gleitzeit, Teilzeitarbeit und die Flexibilität, Erwerbsarbeit mit Sorgearbeit zu vereinbaren. Oft übernehmen Frauen nicht nur die Betreuung und Erziehung von Kindern in großem Maße, sondern kümmern sich auch um pflegebedürftige Familienmitglieder, vor allem, wenn sie in engere Familienstrukturen eingebunden sind. Themen wie Gerechtigkeit, Inklusion und Klimagerechtigkeit sind den jüngeren wichtiger als den älteren Generationen. Die, die davon stärker betroffen sind, die interessiert es umso mehr.  

Wie wir arbeiten, hat auch einen Einfluss darauf, wie gut ein Job für uns funktioniert: Für Menschen, die eher Mikroaggressionen ausgesetzt sind, wie People of Color oder Menschen mit Behinderung, sind Homeoffice-Modelle wichtiger, da sie dadurch in ihrem sicheren Wohnungsraum arbeiten und sich somit sicherer fühlen.“ 

SWANS: „Welche Nachteile hat Remote Work und wie können wir diese ausgleichen oder anders gestalten?“ 

Sara Weber: „Nicht jeder hat einen abgegrenzten ruhigen Arbeitsplatz. Gerade Familien oder Personen mit Fürsorgepflichten können sich da schwer abgrenzen und fragen sich: Wie trenne ich die Arbeit vom Privatleben? Wie kann ich abschalten? Wer wird befördert? Wird es die Person, die im Büro mit dem Vorgesetzten sitzt oder die, die im Home Office arbeitet? Wie schafft man diesen Teamzusammenhalt?  

Für die meisten bietet sich das hybride Modell als Regel an. Da ist es wichtig, die Tage vor Ort so intensiv wie möglich zu gestalten und auszunutzen. Ich kann dort das Unternehmen und die Kolleg:innen besser kennenlernen. Ich kann mitnehmen, wie man untereinander agiert. Das sind Verhaltensweisen, die ich mir abschauen und nicht unbedingt aus der Ferne lernen kann. Nutze die Zeit vor Ort, um Kontakte zu knüpfen, um die Leute kennenzulernen, die Bindungen und Beziehungen aufzubauen und aktiv voneinander zu lernen. Gerade beim Berufseinstieg ist das sehr wichtig.  

Ich würde mich fragen, wie ich sicherstellen kann, dass ich in einem remote Unternehmen nicht untergehe. Wie werden die Vorteile vom persönlichen Kontakt auch in remote Situationen übertragen? Falls es schon funktionierende Konzepte dazu gibt, würde ich mir diese anschauen und umsetzen. Werden meine Verbesserungsvorschläge angehört und berücksichtigt? Was wird da bereits umgesetzt und kann noch etwas optimiert werden? Kann man da selbst noch einen positiven Beitrag leisten?“  

SWANS: „Welchen Ratschlag würdest du unseren ‘Schwänen’ mitgeben?“ 

Sara Weber: „Ich bin kein Fan von Glaubenssätzen wie Glaub an dich und du kannst alles schaffen. Es stimmt nicht, weil dazu unsere Gesellschaft zu ungleich ist. Dennoch ist es wichtig, an sich zu glauben, weil es dir hilft, besser mit Hürden umzugehen. Wenn mir bewusst ist, dass ich einen Wert habe und dass die Arbeit, die ich leiste, einen Wert hat, strahle ich das auch aus. Das wird nicht alle Probleme lösen, aber es wird helfen.  

Was noch wichtig ist, ist sich ein Netzwerk zu suchen. Das müssen nicht unbedingt Vorbilder sein, die drei Stufen über dir sind, sondern es können genauso gut Menschen auf derselben Ebene sein. Mit der Zeit wandern die im Unternehmen auch nach oben. Gemeinsam mit Menschen wachsen zu können ist so wertvoll. Diese Menschen werden mit der Zeit deine Vorbilder. Pflege und schätze diese Community. Schau nicht darauf, wer schon oben ist, sondern frag dich lieber, wer neben dir ist und wie ihr gemeinsam weiterkommt. Wie wertvoll das ist, merkst du in der Rückschau.  

Und ganz wichtig: Lass dich nicht abspeisen. Es ist nicht immer leicht nach einer Gehaltsanpassung zu fragen oder sich auf eine Stelle zu bewerben, weil du glaubst, dass du nicht qualifiziert genug dafür bist. Mache es trotzdem, auch wenn es Rückschläge geben wird, weil es dich voranbringt. Das würden andere genauso versuchen. Trau dich – damit eröffnen sich neue Optionen.“ 

SWANS: „Vielen Dank für das Gespräch!“ 

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