Saina Bayatpour ist mehrfach ausgezeichnete Unternehmerin, Uni-Dozentin, Autorin und Speakerin. Bereits mit 27 Jahren, während ihres Germanistik, Anglistik und Markt- und Werbepsychologie Studiums an der LMU München, gründete sie ihr erstes Unternehmen: eine Marketing- und Eventagentur. Ganz ohne Kredite, nur mit einem geringen angesparten Startkapital. In den Folgejahren wurde die Agentur zu einer international tätigen Firma mit mehrstelligem Millionenumsatz und weltweit fünf Filialen. Auf diese folgten viele weitere Firmen. 2013 entstand die Business Women’s Society, die sie 2022 in SHECIETY umbenannte – ihr zweites großes Steckenpferd, mit der sie Frauen auf ihrem Weg zum Erfolg unterstützt und sich aktiv für Frauen und Kinder weltweit einsetzt. Das Gespräch führte Zekiye Tolu.
SWANS: „Wie würdest du deine Kindheit beschreiben?“
Saina Bayatpour: „Ich bin 1980 im Iran geboren, d.h. meine Kindheit bis zur Auswanderung bestand auch aus Kriegserlebnissen. Kurz nach meiner Geburt begann dort der Krieg. Mit sieben Jahren bin ich nach Deutschland gekommen. Da war die Kindheitszeit insofern schöner, als dass hier kein Krieg herrschte und ich mich sicher und frei gefühlt habe. Dennoch habe ich mich sehr fremd und nicht zugehörig gefühlt. Das ist ein Gefühl, dass mich heute noch prägt.“
SWANS: „Wie gehst du heute mit dem Nicht-Zugehörigkeitsgefühl um? Fühlst du dich heute zugehörig?”
Saina Bayatpour: „Ja, ich finde das Gefühl der Zugehörigkeit in der Familie und unter Freund:innen. Aber ich versuche das Gefühl in mir zu stärken, dass ich nur zu mir gehören muss. Es ist nicht wichtig, im Außen dazu zugehören, sondern es ist im Prinzip Inner Work. Du musst dich in dir so gefestigt fühlen, dass es eigentlich völlig egal ist, wo du bist, weil du bist in dir. Das ist eine Veränderung, die mir sehr weiterhilft.“
SWANS: „Du hast Rassismus in deiner Schulzeit erlebt. Wie bist du damit umgegangen?“
Saina Bayatpour: „Ich habe es als Kind nicht als Rassismus eingestuft. Ich habe nur gemerkt, ich werde anders behandelt. Als Kind versteht man das glaube ich nicht so richtig. Das hat in mir das Gefühl von fremd sein und unwohl fühlen massiv verstärkt. Ich habe aber erst mit Ende 30 bis Anfang 40 verstanden, was für einen Einfluss es auf mein Leben hatte. Situationen, die ich in der Schule erlebt habe, wie z.B. dass meine Lehrerin Ausländer:innen nicht mochte und mir ganz klar gesagt hatte, dass ich hier nichts verloren habe. Die Glaubenssätze ‚Du gehörst nicht dazu. Du bist nicht gut genug.‘ waren immer noch in mir aktiv und haben einen massiven Einfluss auf unser Leben. Es können 100 positive Sätze dabei gewesen sein und ein negativer reicht, um deinen Weg auf eine völlig andere Bahn zu lenken. Deshalb finde ich es unfassbar wichtig, dass man auch die Lehrer:innen mehr kontrolliert oder den Umgang mit Kindern überwacht. Das passiert heute leider gar nicht. Ich habe einfach gemerkt, dass dieser Glaubenssatz mir komplett im Weg stand. Diese kleinen Anfeindungen hatten eine große Wirkung.“
SWANS: „Wie hast du diesen Glaubenssatz für dich gedreht oder umgewandelt?“
Saina Bayatpour: „Ich habe ihn für mich gedreht, in dem ich mir gesagt habe: Die Vergangenheit kann ich nicht verändern, aber die Emotion dazu. Ich habe für mich verstanden, dass dieser Mensch, der mir diesen Satz beschert hat, eine arme Sau ist. Das ist jemand, der sich selbst nicht genug liebt. Dieser Mensch ist so in seiner Angst gefangen, dass er nichts Fremdes erleben will. Oder vielleicht ist sein Sicherheitskonzept gefährdet, wenn das Bild nicht reinrassig deutsch war. Die Lehrerin war das Problem, nicht ich. So konnte ich das für mich lösen. Ich bin in Mitgefühl mit diesen Menschen gegangen. Und das ist nicht so, dass es mit einmal erkannt erledigt ist. Es ist ein unfassbar langer Prozess und es gibt immer noch Situationen, in denen es hochploppt. Durch das Erkennen kann ich die Emotion dazu für mich verändern. Du musst es immer wieder wie einen Muskel trainieren, bis du dein altes Programm überschreibst. Da sind Geduld und Kontinuität starke Komponenten.“
SWANS: „Unsere Schwäne haben während ihrer Jugend viel Verantwortung übernommen. War das bei dir ähnlich?“
Saina Bayatpour: „Ja, total und das ist echt ein Phänomen, dass ich bei vielen Menschen mit Einwanderungsgeschichte feststelle. Entweder haben sie viel Verantwortung auferlegt bekommen oder übernommen, die nicht gesund ist. Ich selbst habe auch mit neun die Familienverantwortung übernommen, als mein Vater verstorben ist. Mein Bruder ist acht Jahre älter und ich hatte das Gefühl, ich muss jetzt diese Familie retten. Man trägt so eine Verantwortung, dass man oft damit zu kämpfen hat. Ich habe dann gemerkt, dass ich gar nicht im Stande war, eine wirkliche Beziehung einzugehen, weil ich mich ja schon um eine Familie gekümmert habe. Wer hätte da noch Platz in diesem Konstrukt gehabt? Das sind echt spannende Mechanismen, wenn man sie verstanden hat: Wow, ok macht Sinn!“
SWANS: „Was waren deine gemeisterten Hürden, auf die du besonders stolz bist?“
Saina Bayatpour: „ Es tatsächlich trotz der furchtbaren Lehrerin auf das Gymnasium geschafft und mein Abitur bestanden zu haben. Auch da gab es Lehrerinnen, die meinten, dass ich das nicht schaffe. Ich bin ebenso stolz auf das Studium, weil es nicht leicht war, nebenbei in Vollzeit zu arbeiten, um mir das Studium leisten zu können. Am Ende des Tages bin ich seit über 17 Jahren Unternehmerin und finde, dass ich es gut mache. Ich habe alleine gegründet. Ich habe keine Investoren gehabt, keine Kredite. Manche meinten, sie geben mir ein bis zwei Jahre. 17 Jahre später gibt´s mich immer noch als Unternehmerin. Da neigen wir Frauen leider dazu, dass wir nicht stehen bleiben und uns auf die Schulter klopfen: Das hast du geil gemacht! Das versuche ich mir gerade beizubringen. Ich sage mir, dass ich in ein fremdes Land gekommen bin, wo mir immer wieder Steine in den Weg gelegt worden sind. Dadurch musste ich mich noch mehr beweisen und trotzdem stehe ich heute noch da. Und ich stehe gut da. Das ist das, was ich unserem Netzwerk Sheciety vermittle: Glaub an dich. Wenn du nicht an dich glaubst, wird niemand zu dir kommen und dich retten. Du musst dich selbst retten. Das sind Momente, in denen ich stehen bleibe, durchatme und mir auf die Schulter klopfe.“
SWANS: „Gab es auf deinem Weg Vorbilder, die dich unterstützt haben?“
Saina Bayatpour: „Ja, meine Mutter. Sie ist eine unfassbar starke Frau. Ich habe bei ihr gesehen, dass aufgeben nie eine Option war. Das hat sie mir vorgelebt. Ansonsten gab es zu meiner Zeit nicht sehr viele Netzwerke und Vorbilder auf die man schauen konnte. Jetzt kommt das zum Glück immer mehr.
Es gab nur meine Mutter und den festen Willen, es allen beweisen zu müssen. Das ist ein Motor, der sehr ungesund sein kann, weil du dich schnell in ein ‚Höher, schneller, weiter‘ begibst. Und irgendwann im späteren Alter denkst du dir, wohin mit dem ein ‚Höher, schneller, weiter‘? Warum bin ich so getrieben?
Ich finde Vorbilder-Kultur sehr wichtig, allerdings kann sie rein äußerlich auch gefährlich sein. Es hat keinen schönen Wandel in unserer Zeit, wenn es um die Optik geht. Jeder will so aussehen wie Kim Kardashian und sieht am Schluss auch so aus wie sie. Da geht leider die Individualität verloren. Daher finde ich Vorbilder in Mindset, Zielsetzung oder Durchhaltekraft sinnvoll, aber nicht im Schönheitswahn.“
SWANS: „Du hast im Berufsleben gemerkt, dass du die Anerkennung, die dir als Kind gefehlt hat, außen gesucht hast. Wie hast du das abgelegt?“
Saina Bayatpour: „Es beginnt alles am Ende des Tages mit Selbstliebe. Wir suchen die Anerkennung nur außen weil wir sie im Inneren nicht haben. Transformieren konnte ich es erst, als ich angefangen habe, mich selbst zu lieben. Ich habe mich so geliebt wie ich bin: Mit der Andersartigkeit, mit der fremden Kultur, mit den zwei Herzen, die in der Brust schlagen. Frieden habe ich erst gefunden, als ich mich angefangen habe, so anzunehmen wie ich bin. Mit der Annahme folgt der Selbstwert, irgendwann die Selbstliebe und dann kommt der Wandel.“
SWANS: „Dein Buch trägt den Titel „Steh auf und leuchte“. Was bedeutet das Leuchten für dich?“
Saina Bayatpour: „Das Leuchten steht für mich in diesem Ankommen in dir selbst. Wenn du dich selbst liebst und mit dir im Einklang bist, kannst du auch dein Licht aufdrehen. Du kannst es der Welt zeigen. Ich sage immer wieder, dass es wichtig ist, sichtbar zu werden. Viele verwechseln es oder verstehen es falsch. Du musst nicht auf Bühnen stehen oder prominent sein. Leuchten und sichtbar sein, bedeutet für mich, absolut zu dem zu stehen, wer du bist. Denn jede einzelne Person ist einzigartig auf ihre Art und Weise. Das meine ich mit dem Appell: Steh auf und leuchte! Es liegt an dir. Du musst die Veränderung herbeiführen. Und Leuchten heißt dann für mich das Glücklichsein. Wenn ich diesen Prozess geschafft habe, kann ich glücklich sein.“
SWANS: „Was waren deine wichtigsten Erkenntnisse als Unternehmerin?“
Saina Bayatpour: „Weniger ist oft mehr. Ich war oft davon getrieben, mehr und mehr zu leisten, bis ich sieben GmbHs hatte. Pausen sind wahnsinnig wichtig. Und am Ende steht die Gesundheit über allem. Wenn du diese Pausen nicht einlegst und im Hamsterrad gefangen bist, kannst du irgendwann nichts mehr tun, wenn die Gesundheit nicht mehr mitspielt.
Ich habe als Unternehmerin verstanden, wie wichtig Persönlichkeitsarbeit ist. Wenn du dich genug liebst, würdest du nie zulassen, dass du in diese Schleife ‚Höher, schneller, weiter‘ kommst. Daran habe ich erkannt, wie wichtig Persönlichkeitsarbeit im Business ist.“
SWANS: „Welchen Ratschlag möchtest du unseren Schwänen mitgeben?“
Saina Bayatpour: „Lerne, dass deine Andersartigkeit deine Superkraft ist. Das gibt dir so viel Weitsicht und mehr Möglichkeiten, weil du aus verschiedenen Kulturen schöpfen kannst. Ich liebe es, iranische Rituale zu kennen und diese einsetzen zu können. Ich versuche, in allem die Fülle und nicht den Mangel zu sehen. Das ist einer meiner absoluten Stärken.
Im Businesskontext bedeutet es, dass ich zwei verschiedene Kulturen verstehen und damit umgehen kann. Ich konnte beispielsweise bei einer Firma in Abu Dhabi gut punkten, weil ich viele deutsche Tugenden mitgebracht habe, aber auch weiß, wie eine andere Kultur funktioniert. Da habe ich beides zusammengeführt. Oder wenn ich z.B. in einem anderen Land bin, finde ich mich sehr schnell zurecht, weil ich mein Land verlassen habe und in Deutschland ein neues Leben begonnen habe. Ich bin dadurch mutiger, weil ich die Vor- und Nachteile der jeweiligen Länder kenne.“
SWANS: „Vielen Dank für das Gespräch!“