Natasha A. Kelly ist promovierte Kommunikationswissenschaftlerin und Soziologin mit den Forschungsschwerpunkten (Post-)Kolonialismus und Feminismus. Sie ist Autorin und Herausgeberin von sechs Büchern, Kuratorin und bildende Künstlerin. Ihre Kunstinstallationen wurden in verschiedenen Museen in Deutschland gezeigt, darunter im Deutschen Historischen Museum in Berlin. Von 2012 bis 2017 war sie Hauptvertreterin der Europäischen Union im Landesbeirat für Integrations- und Migrationsfragen des Berliner Senats. Das Interview führte Esra Elmaci.
SWANS: Wie würden Sie Ihre Kindheit beschreiben?
Kelly: Ich bin mit drei älteren Schwestern groß geworden. Sprich: Ich bin die Jüngste von vier. In der Kindheit waren meine älteren Schwestern sowohl meine besten Freundinnen, als auch meine großen Vorbilder. Ich war immer die Kleinste, die über ihre eigenen Füße gestolpert ist, als ich versuchte, hinter ihnen herzurennen. Ich erinnere mich, dass wir sehr viel zusammen gespielt haben; ich habe auch viel von ihnen gelernt.
SWANS: Gab es eine besondere Person in Ihrem Leben, die einen starken Einfluss auf Sie hatte?
Kelly: Definitiv meine Mutter. Sie hat mich das Überleben gelehrt. Ohne meine Mutter wäre ich heute nicht Dr. Natasha A. Kelly.
SWANS: Wo war es besonders schwer für Sie?
Kelly: Ich bin in einem kleinen Dorf in Norddeutschland groß geworden und war das einzige Schwarze Mädchen an meiner Schule. Als Jugendliche, ich war 13 oder 14, habe ich die emotionale Sicherheit, die mir meine Familie in der Kindheit mitgegeben hatte, verloren. Ich hatte das Problem, nicht dazuzugehören und habe mich selbst als Außenseiterin wahrgenommen. Dies war eine besonders schwere Zeit für mich.
Obwohl ich mich eigentlich immer in Gruppen bewegt habe, war ich trotzdem alleine. Das ist eine der schlimmsten Formen der Einsamkeit und war ganz besonders schwer für mich. Dann habe ich die achte Klasse wiederholen müssen und ein Gefühl des Versagens empfunden. Wenn es danach ginge, hätten meine Lehrer:innen niemals erwartet, dass ich jemals einen Doktortitel bekomme.
SWANS: Wie stehen Sie zur Frauenquote?
Kelly: Die Frauenquote ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Gleichberechtigung. Aber die Frauenquote bevorzugt leider weiße Frauen, weil Gender eindimensional betrachtet wird und nicht intersektional. Wir müssen uns die Frage stellen, wie die Frauenquote für alle Frauen funktioniert.
Da diese Frage nicht mit ‚gut‘ beantwortet werden kann, wird das Problem des Feminismus in diesem Land sichtbar: Race wird nicht mitgedacht, genauso wenig wie Religion, ethnische Herkunft etc. Daran muss gearbeitet werden.
SWANS: Was prägt neben all dieser Arbeit Ihre künstlerische Ader?
Kelly: Ich weiß es nicht. Ich kann nur sagen, dass ich immer ein sehr extrovertierter Mensch war, aber gleichzeitig auch sehr verschlossen. Das ist ein Punkt, den viele Menschen um mich herum gar nicht richtig wahrnehmen: Ich bin unheimlich sensibel und musste immer sehr viel mit mir selbst ausmachen.
Schon als Kind habe ich unheimlich viele Geschichten erzählt und Märchen gelesen. Das ist etwas, was ich mir bewahrt habe. Für mich ist Kunst eine Befreiung. Dadurch, dass die Wissenschaft so starr und undynamisch ist, habe ich in der Kunst meinen Ausgleich gefunden. Ich habe mich regelrecht in die Kunst verliebt. Und die Liebe ist für gewöhnlich eine Quelle der Kraft.
SWANS: Danke für das Gespräch!