Jasmin Arbabian-Vogel: „Wir haben einen doppelten Rucksack auf der Schulter.“

Jasmin Arbabian-Vogel hat Politologie und Sozialpsychologie in Hannover studiert und ist geschäftsführende Gesellschafterin der Interkultureller Sozialdienst GmbH.  Sie führt drei weitere Unternehmen und ist Aufsichtsratsmitglied der Deutschland Immobilien AG. Sie engagiert sich als Beirätin und Vorständin in verschiedenen regionalen und bundesweiten Organisationen, darunter für den Verband deutscher Unternehmerinnen (VdU) e.V., davon seit 2018 als Vorsitzende und seit 2016 als Honorarkonsulin für das Königreich Schweden. 2008 erhielt sie den Wirtschaftspreis der Stadt Hannover und 2015/2016 wurde sie vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) und die bundesweite Gründerinnenagentur (bga) als Vorbildunternehmerin für die Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Sie wohnt mit ihrem Partner und ihren zwei Kindern in Hannover. Das Gespräch führte Zekiye Tolu. 

SWANS: „Wie würden Sie ihre Kindheit beschreiben?“ 

Jasmin Arbabian-Vogel: „Ich bin 1968 in Deutschland geboren. Mein Vater ist Iraner und meine Mutter Deutsche. Die beiden haben sich in Deutschland kennengelernt, da mein Vater seinerzeit vom Schah zum Studieren nach Deutschland geschickt wurde. Sie haben in Hannover relativ schnell geheiratet. Ich bin als zweites Kind hier geboren, mein Bruder ist vier Jahre älter als ich. Als ich zwei Jahre alt war, sind meine Familie und ich in den Iran gegangen. D.h. die ersten beiden Lebensjahre habe ich in Deutschland verbracht und von da an bin ich erstmal im Iran geblieben. Ich bin zwei Wochen vor meiner Volljährigkeit und nach dem Absolvieren des Abiturs im Iran 1986 wieder zurück nach Deutschland ausgewandert. Die politische Lage im Iran wurde dort zunehmend schwieriger, deshalb sind wir ohne meinen Vater zurück nach Deutschland. Er blieb zunächst im Iran. Er pendelte bis zum Ende seines Lebens zwischen Iran und Deutschland und ist hier auch nie richtig ansässig geworden. Er begründete es mit der Aussage: Was soll ich hier? Hier bin ich nur ein Ausländer und im Iran bin ich „Herr Ingenieur“.’ 

Ich bin somit in den entscheidenden prägenden Kindheitsjahren mit beiden Religionen im Iran aufgewachsen – Christentum und Islam. Meine Eltern haben mich in beiden Religionen aufwachsen lassen und gesagt, dass ich mich irgendwann selbst für eine Religion entscheiden soll. Mit zehn Jahren habe ich entschieden, dass ich Atheistin werde, weil ich nicht an Gott glaube. 

Als ich mit 18 Jahren in Deutschland ankam, hatte ich meinen ersten Schock, weil mein Abitur nicht anerkannt wurde. Das Schicksal teilte ich mit vielen eingewanderten und geflüchteten Menschen, deren Abschlüsse nicht anerkannt werden. Ich hatte allerdings das große Glück die doppelte Staatsbürgerschaft zu haben. Das war damals ein Novum. Wir hatten damals durch die doppelte Staatsbürgerschaft die Möglichkeit, legal auswandern zu können, wenn sich die politische Lage im Iran verschärft hätte. Ich durfte dann mit der deutschen Mutter das Land verlassen. Deswegen waren wir eine exotische Gruppe von doppelten Staatsbürger:innen. Hätte ich die doppelte Staatsbürgerschaft nicht gehabt, hätten wir Fluchtrouten nehmen müssen.  

Das hieß, ich musste das Abitur in Deutschland nachholen. Anfangs fand ich das unangenehm, aber im Nachhinein war das die richtige Entscheidung, weil es den Kulturkonflikt etwas abgefedert hat. Es ist nämlich schon ein Unterschied, wenn man nur die Ferien in Deutschland verbringt, als hier zu leben. Ich habe das Abitur in Hannover absolviert, folglich bin ich insgesamt 15 Jahre zur Schule gegangen und habe anschließend Politologie und Sozialpsychologie studiert. Nach Beendigung des Studiums habe ich mich selbstständig gemacht. 

Insgesamt kann ich sagen, dass meine Kindheit und Jugend sehr schön waren, weil der Iran ein fantastisches Land ist. Auch wenn in den 1970ern die Revolution kam und später die Islamische Republik, womit es für Frauen immer schwieriger wurde. Das ist nicht das, was das Leben dort ausmacht. Das Leben vollzieht sich nicht im politischen, sondern im privaten Raum, Die Gesellschaft ist trotz islamischer Republik die gleiche geblieben. Insofern bin ich von einer über 2.500 Jahre alten Kultur mit gastfreundlichen, kosmopolitischen und liebenswürdigen Menschen aufgewachsen und getragen. Das, was ich heute bin, bin ich, weil ich auch im Iran aufgewachsen bin.“  

SWANS: „Warum haben Sie sich direkt nach dem Studium selbstständig gemacht?“ 

Jasmin Arbabian-Vogel: „Dafür gab es verschiedene Gründe. Wenn man zum Einen Politologie und Sozialpsychologie studiert, studiert man kein konkretes Berufsfeld. Wenn Sie beispielsweise Physik studieren, werden Sie anschließend Physikerin, das galt nicht für mein Studium. Die Frage ‘Was mache ich nach dem Studium?’ war schon immer virulent. Der Vorteil ist, dass man dadurch flexibel ist, um in sehr unterschiedlichen Bereichen unterzukommen. 

Der andere Motivator war, dass ich während des Studiums durchweg gearbeitet habe. Dadurch habe ich erfahren, dass ich die Jobs super fand, aber die Vorgesetzten nicht. Da habe ich früh gemerkt, das ist nicht meine Vorstellung von Arbeit. Die meiste Zeit unseres Lebens verbringen wir auf der Arbeit. Wenn es da draußen keine Arbeit gibt, die mir gefällt, weil die männlichen Chefs doof sind, dann erschaffe ich mir meinen Arbeitsbereich selbst. Damals gab es leider noch viel mehr männliche Vorgesetzte als heute. Das war für mich ein ganz starkes Motiv. Ich wollte einen Arbeitsplatz schaffen, in dem die Menschen gerne arbeiten und wo man sich auf Augenhöhe und mit Wertschätzung begegnet. Das habe ich bis heute durchgezogen. Das gelingt mir nicht immer. Menschen sind fehlbar, aber das war schon immer meine Zielsetzung und davon bin ich nicht abgewichen.  

Der dritte Motivator war, dass ich irgendwann im Studium in einem Pflegedienst in der Verwaltung gearbeitet habe. Zu der Zeit wurde die Pflegeversicherung in Deutschland installiert – das elfte Soziale Gesetzbuch. Zu der Zeit wurden viele Pflegedienste gegründet. Das fiel genau in die Zeit, in der ich in dieser Verwaltung gearbeitet habe. Parallel dazu ist mein Vater krank geworden, also ein Einwanderer, der in Deutschland krank wird. Da wurde mir klar, dass wir in Deutschland ein super soziales Netz aufgebaut haben, es sei denn, du bist eingewandert. Das war der allerstärkste Antrieb, weil ich hautnah miterlebt habe, wie ein Angehöriger mit Migrationshintergrund krank wurde. Wenn die in die Mühlen des Gesundheitssystems geraten, dann wird es schwierig. Deutschland hat sich noch nicht als Einwanderungsland begriffen, obwohl wir eines sind. Die Regelinstitutionen haben sich überhaupt nicht geöffnet. ‘Das mache ich anders.’ Dann habe ich beschlossen, mich mit einem Pflegedienst mit Schwerpunkt auf Menschen mit Einwanderungsgeschichte selbstständig zu machen. Das ist die Geschichte hinter meiner Selbstständigkeit.“ 

SWANS: „Woher kommt ihr vielfältiges Engagement und ihr Ehrgeiz?“ 

Jasmin Arbabian-Vogel: „Entweder sind Menschen mit Talenten gesegnet und haben genug Selbstbewusstsein, um diese auszuleben. Oder sie sind mit Talenten gesegnet und haben Unterstützer:innen. Ich habe das große Glück gehabt, dass ich in meinem Leben immer Unterstützer:innen hatte. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie ich von der deutsch-iranischen Schule in Teheran in eine reine Mädchenschule kam, weil die andere Schule im Zuge der Revolution schließen musste. Ich dachte ich wäre nicht intelligent genug und hatte überhaupt kein Selbstbewusstsein. Ich dachte ich sei blöd und beherrsche keine Mathematik. Mein Vater versuchte mir Nachhilfe zu geben, aber das half nicht. Wir hatten in der Mädchenschule dann Prüfungen und ich hatte eine sechs als Note geschrieben. Meine Lehrerin sagte dann: ‘Jasmin du kannst viel mehr, warum schreibst du so schlechte Zensuren?’ Dann habe ich mir eine Ausrede überlegt und gesagt, dass ich die persische Sprache noch nicht so gut kann. Sie meinte dann, dass ihr das einleuchtet und hat mich unterstützt. Sie hat sich richtig Mühe gegeben und mir nach der Schule Nachhilfe gegeben. Ich dachte in der nächsten Prüfung kann ich sie nicht enttäuschen und muss lernen – und schließlich eine Note zwei geschrieben. Daraufhin meinte meine Lehrerin: ‘Siehst du, du kannst was.’ Ab dem Moment habe ich wirklich gemerkt: ‘Ich kann was und bin nicht schwach.’ So habe ich vor jeder Klausur etwas gelernt und erkannt, dass ich gar nicht unzulänglich bin. Genau das zieht sich durch mein ganzes Leben. Ich hatte immer Leute, die mich geschubst haben und mir gezeigt haben, dass ich das kann und es angehen soll. 

So habe ich irgendwann Ehrgeiz entwickelt, weil ich gemerkt habe, dass die anderen auch etwas können und ich besser als die anderen sein wollte. Das ist klassischer Ehrgeiz. Später hatte ich genauso diese Unterstützer:innen, die mir vermittelt haben, dass ich es kann und zeigen soll. Als Kind war ich sehr politisch und wollte die erste Kanzlerin Deutschlands werden. In meiner Selbstständigkeit gab es Höhen und Tiefen, vor allem Tiefen gab es genug. In den Tiefen riet mir mein Steuerberater, dass ich nicht nur im Büro sitzen soll, sondern in Netzwerke gehen und mein Unternehmen in den Netzwerken präsentieren soll. Ich wollte das aber nicht, weil es dafür tausend Ausreden gab, wie dass es gerade zeitlich nicht passt oder meine Kinder zu klein sind, etc. Als ich den Wirtschaftspreis in Hannover gewonnen habe, habe ich auf der Preisverleihung sehr viele Einladungen in Netzwerke bekommen. Diese Einladungen habe ich wahrgenommen und da habe ich gemerkt, dass da überwiegend Leute sind wie ich. In diesen Netzwerken habe ich dann viele Leute kennengelernt, die mich sehr unterstützt haben. Es waren Anfragen wie: ‘Da gibt es ein Amt, da sehen wir dich drin. Hättest du Lust?’ Sie haben mein Potenzial gesehen, sie wollten mich an dieser Stelle und haben mir die Türen geöffnet. Das verstehe ich unter ‘Supporten’. Es heißt nicht nur, ich helfe jemandem, sondern auch, dass ich anderen die Türen öffne.“  

SWANS: „Wie kommt es, dass Sie unternehmerisch so vielfältig engagiert sind?“ 

Jasmin Arbabian-Vogel: „Beruflich bin ich aktuell in vier Unternehmen aktiv, zwei davon in der Altenpflege. Den kleinen Pflegedienst habe ich nicht gegründet, sondern 2015 gekauft. Das Yoga-Studio habe ich selbst gegründet. Das ergab sich dadurch, dass berufliches Gesundheitsmanagement in unserem Team ein wichtiges Thema ist. Da sind wir relativ schnell zu Yoga gekommen. Ich habe damit beschlossen, dass ich diesen Trendsport unseren Kund:innen und Mitarbeitenden anbieten will. Das vierte Unternehmen für haushaltsnahe Dienstleistungen habe ich auch dazugekauft. Das ist ein Bereich, der in Deutschland auch stark wächst. 

Die ehrenamtlichen Ämter sind dadurch entstanden, dass ich in den Netzwerken empfohlen worden bin und mir von diesen Leuten die Türen geöffnet wurden. Im Verband der deutschen Unternehmerinnen war ich zuerst Mitglied, dann bin ich Landesvorsitzende geworden und später auch Präsidentin. Genauso bin ich beispielsweise am Hannover Flughafen im Beirat tätig, das ist eine Art Aufsichtsrat oder in der Bürgerstiftung Hannover, die einen regionalen Charakter haben. Das sind Organisationen, die eine regionale Bedeutung haben, die einen Aufsichtsrat oder Kuratorium haben, in denen ich aktiv bin.“ 

SWANS: „Wie schaffen Sie es, neben der Familie diese Tätigkeiten unter einen Hut zu kriegen? Wie organisieren Sie sich und welche möglichen Herausforderungen ergeben sich dadurch?“ 

Jasmin Arbabian-Vogel: „Die größte Herausforderung ist die Zeit, auch mein Tag hat nur 24 Stunden. 24 Stunden lang kann ich nicht und will ich nicht arbeiten, weil ich auch noch etwas schlafen muss. Die größte Herausforderung: Man muss lernen zu delegieren. Das Zauberwort heißt Backoffice. Ich könnte diese Unternehmungen nicht führen, wenn ich nicht meine Geschäftsführer:innen und Leitungen hätte, die das Operative im Hintergrund managen. Ich bin zwar in allen Unternehmen als Geschäftsführerin aktiv, aber nur noch mit eingegrenzten Bereichen. Das zweite Zauberwort heißt Delegieren, was nicht immer leicht ist, funktioniert aber mittlerweile ganz gut. Bei Firmenpatriarchen erleben wir das oft, dass sie an ihren Stühlen kleben und nichts abgeben können, das gilt für alle Geschlechter gleichermaßen. Wenn man aber die richtigen Berater:innen, wie z.B. Steuerberater:innen um sich herum hat, dann ist das ganz wertvoll, weil sie dir wichtige Tipps geben.  

Das Eine ist das Delegieren und das Andere ist, dass ich die ehrenamtlichen Tätigkeiten mit voller Überzeugung ausführe, und das ist ein starker Motivator. Wenn man etwas gerne aus Überzeugung macht und das Wirkung zeigt, dann motiviert das auch immer.“ 

SWANS: „Was sind ihre Erfolgsgeheimnisse für eine gute Führung?“  

Jasmin Arbabian-Vogel: „Menschen führen sehr unterschiedlich. Je nach dem, was für einen Charakter Personen haben, beeinflusst das die Führung. Für mich war ein kooperativer Führungsstil sehr wichtig und den anderen sehr viel zuzutrauen, das prägt mich. Das ist die Art, wie ich führe. Ich versuche, die Potenziale der Mitarbeitenden zu sehen und diese zu fördern. Ich schaue auf das, was sie besonders gut können und nicht, was sie nicht gut können. Die Stärken versuche ich einzusetzen und zu fördern. Weg von einer Defizit-Sicht, hin zu einer kooperativen Sicht. Jeder Mensch kann etwas und deshalb unterstütze ich sie darin. Das ist für mich eines der wichtigsten Zutaten für gute Führung.  

Menschen wie Sie und ich haben mindestens eine familiäre Einwanderungsgeschichte. Wir haben einen doppelten Rucksack auf der Schulter. Das gibt uns die Fähigkeit, die Dinge aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Das ist etwas sehr Wertvolles. Ich bin auch Mentorin bei der Deutschlandstiftung Integration, in der das Weiterkommen von Menschen mit Einwanderungsgeschichte auf unterschiedlichen Ebenen gefördert wird. Ich versuche meinen Mentees zu sagen, dass sie weiterkommen, gerade weil sie eine Einwanderungsgeschichte haben. Sie haben die Potenziale in sich, den zweiten ‘Rucksack’, den sie mit sich tragen, und einen erweiterten Horizont. Sie können alles aus mindestens zwei verschiedenen Perspektiven sehen. Darauf können sie stolz sein – das bringt sie weiter.“ 

SWANS: „Wie sieht die Tätigkeit einer Honorarkonsulin für das Königreich Schweden aus?“ 

Jasmin Arbabian-Vogel: „Ich werde normalerweise gefragt, wie ich dazu gekommen bin. Und meine Antwort ist: ‘Die Schweden haben auch Fachkräftemangel.’ Die tatsächliche Antwort von mir lautet, dass die Schweden eine Agenda haben. Als die Stelle 2015 frei wurde, haben die Schweden nach bestimmten Kriterien gesucht: Erstens wollten sie eine Frau, weil das in die Policy der Feministischen Politik passt. Das Land ist sehr liberal, sehr feministisch, kosmopolitisch und divers aufgestellt. Die Honorarkonsulin sollte unter 50 sein und sehr gut in der Wirtschaft vernetzt sein, weil sie wirtschaftliche Beziehungen intensivieren wollen. Das Land hat die entsprechenden Industrie- und Handelskammerverbände Niedersachsen  gebeten, Vorschläge für eine geeignete Kandidatin zu machen. Ich wurde daraufhin auch vorgeschlagen. Ich sagte dann: ‘Ich bin nicht nur wegen meiner ABBA-Sammlung und meinem schwedischen Regal prädestiniert für diese Stelle.’ Anschließend hat der schwedische Botschafter in Berlin Gespräche geführt und die Wahl fiel auf mich. So bin ich Honorarkonsulin geworden. 

Was mache ich in diesem Job? Das schwedische Honorarkonsulat ist Anlaufstelle für Schwed:innen und für Firmen in Niedersachsen mit Interesse am  schwedischen Markt und schwedische Firmen, die am Niedersächsischen Markt interessiert sind. Alle Tätigkeiten, die verwaltet werden müssen, werden von einer Kanzlistin, einer Mitarbeiterin von mir, durchgeführt: Sie nimmt Bürgerbegehen auf, schreibt Anträge für Geburtsanzeigen oder Todesanzeigen auf, die an die Botschaft weitergeleitet werden. Weitere administrative Aufgaben sind z.B. das Herausgeben von Führerscheinen und Pässen. Diese Aufgaben werden an mich herangetragen, die ich dann an unsere Kanzlistin übertrage. Meine persönliche Aufgabe ist es, für Geschäftsanbahnungen und Repräsentationen auf Messen oder Veranstaltungen zur Verfügung zu stehen. Wenn wir beispielsweise schwedische Unternehmen auf einer Messe haben, verbringe ich Zeit mit ihnen und erkläre ihnen zum Beispiel, wie der deutsche Markt funktioniert. Eine weitere Aufgabe besteht darin, dass ich Wissen über die kulturellen Werte Schwedens und das, was das Land auszeichnet, mit den Deutschen und den Firmen teile.“ 

SWANS: „Was macht einen interkulturellen Pflegedienst aus?“  

Jasmin Arbabian-Vogel: „Wir sind kultursensibel und nicht ethnisch-orientiert. Es gibt in Deutschland viele Pflegedienste, die ethnisch-orientiert sind, d.h. ein türkischer Pflegedienst für Türk:innen oder russischer Pflegedienst für Russ:innen, usw. Das ist nicht unser Ansatz. Wir sind interkulturell, das bedeutet, dass unser Ansatz eher ein universeller Gemeinsamkeiten-Begründer ist. Die ethnisch-orientierten Pflegedienste sagen z.B., dass sie wissen, wie man türkische Patienten pflegt. Wir sagen aber, dass die Communitys und Kulturen nicht homogen sind. Eine deutsche Patientin aus Hamburg will anders gepflegt werden als eine Patientin aus Bayern. Gleiches gilt auch für Menschen aus anderen Ländern. Die Kulturen sind in sich nicht homogen und geschlossen. Demnach hilft uns Partikularwissen an dieser Stelle nicht weiter.  

Was uns in der kultursensiblen Pflege hilft, sind interkultureller Kompetenzen. Das sind Mitarbeitende, die eine kultursensible Herangehensweise und sehr feine Antennen haben, damit sie sich sicher in unterschiedlichen kulturellen Settings bewegen können. Dadurch können sie herausfinden, wie die:der jeweilige Patient:in gepflegt werden will. Was wir nach dreißig Jahren in der Pflege sicher sagen können: Für die Beziehungspflege ist nicht ausschließlich die Sprache und kulturspezifisches Wissen relevant. Die Chemie muss stimmen, um in der Lage zu sein, eine Beziehung aufbauen zu können. Das Agieren auf der interpersonalen Ebene hat einen viel höheren Stellenwert und dafür brauche ich die sensiblen Antennen.“  

SWANS: „Sind Sie auch vom Fachkräftemangel betroffen?“ 

Jasmin Arbabian-Vogel: „Ja, auch wir leiden unter dem Fachkräftemangel. Aber dadurch, dass wir interkulturell sind, haben wir einen Vorteil. Wir erleben es nicht so stark wie die anderen Pflegedienste. Wir sind übrigens der erste Pflegedienst in Deutschland mit dem interkulturellen Schwerpunkt. Wir bilden auch aus und haben aktuell zwanzig Auszubildende und davon sind null bio-deutsch. Die meisten, die uns suchen, haben einen Migrationshintergrund. Unsere Pflegedienstleitung ist ukrainisch und seit zwanzig Jahren im Unternehmen. Sie ist in der ukrainischen Community sehr gut vernetzt. Wir gehören ehrlicherweise zu den Gewinnern des Angriffskrieges in der Ukraine. Wir haben von den geflüchteten Frauen extrem profitiert, weil sie uns als Betrieb gewählt haben.“ 

SWANS: „Auf welche gemeisterte Herausforderung sind Sie besonders stolz?“ 

Jasmin Arbabian-Vogel: „Ich war ja Präsidentin im Verband deutscher Unternehmerinnen. Im Verband spielt Diversität eine bedeutende Rolle. Wir sind eine Community aus 1.800 Unternehmerinnen, die alle ihr Herz am richtigen Fleck haben und alle unabhängig von ihrer Herkunft aufnehmen würden. Nur der Name des Verbandes war mittlerweile eine Mauer. Viele fragten sich dadurch, ob sie überhaupt Teil des Verbandes werden können. Der Name inkludiert nicht. Irgendwann haben einige Unternehmerinnen gesagt: Wir müssen den Namen ändern, weil wir schon lange nicht mehr der Verband deutscher Unternehmerinnen sind. Wir haben auch ganz viele andere vertretene Nationen. In einem Verband braucht es für diese Satzungsänderung eine Mehrheit der Mitglieder und das ist zweimal gescheitert. Es war ein langer Kraftakt, bis wir im dritten Jahr die Mehrheit erreicht haben und die Namensänderung vollziehen konnten. So wurde der Name von ‘Verband deutscher Unternehmerinnen’ zu ‘Verband der Unternehmerinnen in Deutschland’ geändert. Das war die größte Herausforderung, auf die ich stolz bin.  

Eine weitere Herausforderung, auf die ich stolz bin, ist, dass der Verband der Unternehmerinnen 2016 sich entschloss, der Initiative Berliner Erklärung anzuschließen. Sie hat sich massiv für das Führungspositionen Gesetz I (FüPoG I), im Nachgang auch für das Führungspositionen Gesetz II (FüPoG II) eingesetzt. Wir waren damals der einzige Wirtschafts-Verband, der sich für die Frauenquote in Deutschland positioniert hat. Wir mögen zwar keine Quoten, aber wir brauchen die Regelung als Instrument.  

Ich bin sehr stolz auf die beiden Erfolge, da das Quotengesetz Deutschland voranbringt und die Umbenennung des Verbandes den Verband und das Unternehmer:innentum nach vorne bringt.“ 

SWANS: „Welchen Ratschlag würden Sie unseren ‘Schwänen’ mitgeben?“ 

Jasmin Arbabian-Vogel: „Die Chancen, die wir diesem Land bringen, müssen wir selbstbewusster und selbstverständlicher nach außen tragen. Wir stehen aktuell an einem Scheideweg. Die westliche Gesellschaft steht vor transformativen Prozessen wie in der Digitalisierung und Dekarbonisierung. Das sind Prozesse, die wir gar nicht mehr aufhalten können – das passiert.  

Die anderen transformativen Prozesse, sind die, in welche Richtung wir als Gesellschaft gehen werden und uns fragen werden, ob wir weiterhin noch demokratisch sein werden. Da trägt die Frage nach der Zusammensetzung der Gesellschaft eine entscheidende Rolle und im Moment habe ich da große Bauchschmerzen. Wir Einwander:innen müssen da stärker deutlich machen, dass dieses Land uns braucht. Wir sind eine Einwanderungsgesellschaft und wir tragen einen positiven Beitrag zu dieser Gesellschaft bei. Ohne uns würde dieses Land zusammenbrechen. Wir sind sowohl als Arbeitskräfte, als auch als Menschen, die dieses Land weiterentwickeln, gefragt. Das dürfen wir viel stärker nach außen tragen und uns auf allen Ebenen viel mehr einbringen. Wir können nicht mehr warten, bis wir gefragt werden. Wir müssen uns gegenseitig unterstützen und gegenseitig die Türen öffnen. Ich setzte mich für gute Menschen mit Einwanderungsgeschichte ein und bringe sie in die entsprechenden Positionen ein. Ich mache mich dafür gerne stark. Jede von uns sollte das so machen.“ 

SWANS: „Vielen Dank für das Gespräch!“

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