Fatima Hussain, LL.M. ist Rechtsanwältin und Legal Innovation Advisor. Sie ist Head of Legal bei LIQID und war zuvor als Senior Legal Counsel bei der Trade Republic Bank GmbH, bei der Tesla SE als auch bei der AUDI AG als Syndikusrechtsanwältin tätig. Davor war sie bei Linklaters, Clifford Chance und Freshfields Bruckhaus Deringer in den Bereichen Capital Markets, Litigation und Arbitration tätig. Daneben berät Fatima Rechtsabteilungen und Kanzleien zum Thema Innovation mit Schwerpunkt auf den Themen Female Empowerment und Diversität. Sie bietet zudem Workshops an und veröffentlicht zahlreiche Artikel und Podcasts zu diesen Themen, unter anderem im Handelsblatt. Für ihren Einsatz wurde sie vom Capital Magazin als „Deutschlands Top 40 unter 40“ und vom Business Insider als „25 Zukunftsmacherinnen“ ausgezeichnet. Dieses Interview führte Haya Saadun.
SWANS: „Wie würden Sie Ihre Kindheit beschreiben? Wie sind Sie aufgewachsen?“
Fatima Hussain: „Als Kind hatte ich oft das Gefühl, zwischen zwei Kulturen zu leben. Erst als Erwachsene habe ich erkannt, dass ich mit zwei Kulturen aufgewachsen bin und das ein großes Geschenk war. Es hat mir ermöglicht, eine unglaubliche Vielfalt zu erleben: unterschiedliche Werte, Denkweisen, Sprachen und Lebensrealitäten. Diese Erfahrungen haben mich geprägt, mich gelehrt, offen zu sein und mein Verständnis von Toleranz und Empathie tief beeinflusst. Heute weiß ich, dass diese Mischung aus verschiedenen Welten mir eine Stärke verliehen hat, die mich in meinem Denken, Handeln und meiner Arbeit immer begleitet.“
SWANS: „Gab es Vorbilder, die Sie früh geprägt haben und einen positiven Einfluss auf Sie hatten?“
Fatima Hussain: „Im juristischen Bereich sind Frauen nach wie vor deutlich unterrepräsentiert, besonders in Führungspositionen. Diese Unsichtbarkeit hat weitreichende Folgen: Sie erschwert es jüngeren Generationen, konkrete Vorbilder zu finden, an denen sie sich orientieren können. Ich hatte kein Vorbild und genau das hat mich motiviert, selbst aktiv sichtbar zu werden. Ich wollte zeigen, dass es möglich ist, eigene Wege zu gehen, Verantwortung zu übernehmen und Türen zu öffnen, die bisher oft verschlossen blieben. Sichtbarkeit ist für mich nicht nur Repräsentation, sondern auch eine Form von Verantwortung: anderen zu helfen, Mut zu machen und Räume zu schaffen, in denen junge Frauen ihre eigenen Stärken entfalten können.“
SWANS: „Wie wichtig sind Vorbilder für Frauen mit Einwanderungsgeschichte?“
Fatima Hussain: „Vorbilder sind für alle jungen Menschen wichtig, aber für Frauen mit Einwanderungsgeschichte sind sie oft entscheidend. Sie zeigen, was möglich ist, wenn die Gesellschaft Vielfalt nicht nur zulässt, sondern aktiv unterstützt. Gerade vor dem Hintergrund von struktureller Diskriminierung, die dazu führt, dass ihnen häufig Grenzen statt Chancen aufgezeigt werden, geben Vorbilder Mut, Selbstbewusstsein und Orientierung.
Wenn junge Frauen jemanden sehen, dessen Geschichte ihrer Geschichte ähnelt, dann spüren sie: ‘Ich darf auch groß träumen’.“
SWANS: „Wie kamen Sie zu FinTech? Was war Ihr Antrieb?“
Fatima Hussain: „Ich bin zu FinTech gekommen, weil ich überzeugt bin, dass Innovation im Finanzbereich nicht nur technologischen Fortschritt bedeutet, sondern auch gesellschaftliche Verantwortung mit sich bringt. Besonders Frauen und insbesondere Frauen mit Migrationsgeschichte sind in Finanzfragen oft strukturell benachteiligt: Sie investieren seltener, bauen weniger Vermögen auf und stoßen häufiger auf Hürden, wenn es um finanzielles Wissen oder Zugang zu Kapital geht.
Mich hat genau das motiviert: Ich wollte aktiv mitgestalten, wie Finanzen inklusiver, transparenter und zugänglicher werden können. FinTech bietet enormes Potenzial, diese Barrieren abzubauen. Durch neue Technologien, aber vor allem durch neue Perspektiven.
Ich will Innovation nicht nur beobachten, sondern mitgestalten und gleichzeitig dafür sorgen, dass sie nicht an denjenigen vorbeigeht, die bisher oft ausgeschlossen waren. Frauen müssen endlich als zentrale Zielgruppe im Finanzbereich gedacht werden, nicht als Ausnahme, sondern als selbstverständlicher Teil der Zukunft. Dafür setze ich mich ein.“
SWANS: „Welches Projekt oder Mandat ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?“
Fatima Hussain: „Es fällt mir tatsächlich schwer, ein einzelnes Projekt oder Mandat herauszuheben, denn jede Station meiner beruflichen Laufbahn hat mich auf ihre eigene Weise geprägt und mir wertvolle Erfahrungen mitgegeben. Vom komplexen Dieselverfahren bei Audi über den Bau der Giga Factory für Tesla bis hin zum Launch der Karte bei Trade Republic oder meiner Arbeit an Innovationen im WealthTech bei LIQID: Jedes Projekt hatte seinen eigenen Charakter, seine eigenen Herausforderungen und Lernmomente.
Auch meine Zeit in Großkanzleien wie Freshfields oder Clifford Chance war prägend. Dort habe ich nicht nur juristisch viel gelernt, sondern auch gesehen, wie internationale Zusammenarbeit auf höchstem Niveau funktioniert.
Was mir aber immer besonders in Erinnerung geblieben ist, sind die Menschen, mit denen ich arbeiten durfte. Kolleg:innen, die ihre Expertise, ihre Perspektiven und oft auch ihre persönlichen Geschichten mit mir geteilt haben. Sie haben mir neue Denkweisen eröffnet, mein Verständnis für andere Lebenswelten geschärft und meinen Horizont nachhaltig erweitert.“
SWANS: „Was brauche ich, um eine gute Juristin zu sein?“
Fatima Hussain: „Um eine gute Juristin zu sein, braucht es mehr als nur juristisches Wissen. Es geht darum, ein tiefes Verständnis dafür zu entwickeln, wie Recht funktioniert und welchen Zweck Gesetze und Regulierungen überhaupt verfolgen. Recht ist kein starres System, sondern ein lebendiges Instrument, das unsere Gesellschaft gestalten, schützen und ausbalancieren soll.
Deshalb ist es besonders wichtig, die Besonderheiten des Einzelfalls zu erkennen. Jeder Sachverhalt ist genauso individuell, vielfältig und manchmal auch widersprüchlich wie das Leben selbst. Eine gute Juristin bringt die Fähigkeit mit, diese Komplexität zu erfassen, einzuordnen und rechtlich angemessen zu würdigen.
Außerdem muss man nicht alles alleine wissen oder können. Ein starkes Netzwerk ist enorm wichtig. Um sich auszutauschen, voneinander zu lernen und gemeinsam daran zu arbeiten, dass sich das Recht weiterentwickelt. Denn Jurist:innen gestalten mit und das gelingt am besten im Dialog, nicht im Alleingang.“
SWANS: In welchem Verhältnis stehen KI und Female Empowerment aus Ihrer Sicht?“
Fatima Hussain: „Künstliche Intelligenz und Female Empowerment stehen in einem spannenden, ambivalenten Verhältnis. Auf der einen Seite bietet KI enormes Potenzial, strukturelle Ungleichheiten sichtbar zu machen und neue Zugänge zu schaffen. Zum Beispiel kann durch Datenanalysen Diskriminierung aufgedeckt werden oder durch Tools, die Bildung, Finanzierung und Karriereentwicklung für mehr Menschen zugänglich machen. Richtig eingesetzt, kann KI also ein echter Hebel für mehr Chancengleichheit sein.
Gleichzeitig dürfen wir nicht vergessen: KI ist nur so gut wie die Daten, mit denen sie gefüttert wird und die spiegeln häufig die bestehenden gesellschaftlichen Biases (Voreigenommenheiten) wider. Wenn Frauen, insbesondere Frauen mit Migrationsgeschichte, in den Trainingsdaten unterrepräsentiert sind oder verzerrt dargestellt werden, reproduziert KI genau diese Ungleichheiten, oft sogar verstärkt und automatisiert.
Deshalb ist es entscheidend, dass Frauen aktiv an der Entwicklung, Regulierung und Anwendung von KI mitwirken. Es geht nicht nur darum, Technologie zu nutzen, sondern sie mitzugestalten. Female Empowerment im Kontext von KI heißt also: Räume einnehmen, in denen über Zukunft entschieden wird, und sicherstellen, dass diese Zukunft alle mitdenkt.“
SWANS: „Sie arbeiten in einer Schnittstelle männerdominierte Felder – Tech und Jura. Was können Frauen tun, um sich gegenseitig in diesen Branchen zu stärken?“
Fatima Hussain: „Was ich über die Jahre gelernt habe: In männerdominierten Feldern reicht es nicht, dass einzelne Frauen erfolgreich sind. Es geht darum, Strukturen aufzubrechen, den Status Quo zu verändern – und das schaffen wir am besten gemeinsam.
Frauen können sich stärken, indem sie sich vernetzen, gegenseitig fördern und aktiv füreinander eintreten, sei es durch Empfehlungen oder auch dadurch, dass sie einander den Rücken stärken, wenn Widerstände kommen.
Ein wichtiger Punkt ist aber auch: Wir müssen uns ehrlich austauschen. Nicht nur über Erfolge, sondern auch über Unsicherheiten, Fehler und Hürden.
SWANS: „Auf welche Errungenschaft sind Sie besonders stolz? Haben Sie etwas, das Ihnen als Wegbegleiter durch besondere Hürden verhalf?“
Fatima Hussain: „Ein ganz besonderer Moment war für mich, als ein Bild von meinem Vater und mir im Handelsblatt erschien, gemeinsam mit einem Interview, in dem ich meine persönliche Geschichte erzählen durfte. Dieses Bild steht für so vieles: für Verbundenheit, für Dankbarkeit und dafür, wie weit und beschwerlich der Weg manchmal sein kann. Dass ich diese Geschichte auf einer so sichtbaren Plattform teilen durfte, war ein echter Meilenstein. Denn Sichtbarkeit bedeutet für mich nicht nur Repräsentation, sondern auch Verantwortung. Verantwortung dafür, Räume zu öffnen und andere zu ermutigen, ihren eigenen Weg zu gehen.
Ein weiterer Moment, auf den ich sehr stolz bin, war die Auszeichnung als „Deutschlands 40 unter 40“ von Capital. Nicht nur wegen der Auszeichnung selbst, sondern weil sie mir Zugang zu einem Netzwerk gegeben hat, in dem ich mich mit unglaublich inspirierenden Menschen austauschen kann. Menschen, die in ganz unterschiedlichen Bereichen Verantwortung übernehmen, Dinge neu denken und unsere Gesellschaft aktiv gestalten. Von ihnen lernen zu dürfen, hat meinen eigenen Horizont enorm erweitert.
Was mich durch Herausforderungen getragen hat, war immer eine tiefe Überzeugung: Dass unsere Geschichten zählen und dass es sich lohnt, für Veränderung einzustehen. Und natürlich Menschen an meiner Seite, die mich dabei bestärkt haben.“
SWANS: „Welchen Ratschlag würden Sie abschließend unseren ‘Schwänen’ mitgeben?”
Fatima Hussain: „Glaubt an eure Stimme, auch dann, wenn sie leise ist. Und auch dann, wenn andere sie (noch) nicht hören. Gerade Frauen mit Migrationsgeschichte tragen oft so viele Perspektiven, Erfahrungen und Stärken in sich, die in klassischen Strukturen viel zu lange übersehen wurden. Nutzt sie. Versteckt sie nicht.
Außerdem: Sucht euch Netzwerke und Menschen, die euch fördern, mit denen ihr wachsen könnt. Und vor allem: Unterstützt euch gegenseitig. We rise by lifting each other!“
SWANS: „Vielen Dank für das Gespräch!“