Awet Tesfaiesus: „Vernetzung ist der wahre entscheidende Schlüssel.“

Frau Awet Tesfaiesus zog 2021 als erste Schwarze Frau in den Deutschen Bundestag ein. Dort ist sie Mitglied im Rechtsausschuss und Obfrau im Ausschuss für Kultur und Medien. Zuvor war sie stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Sprecherin für Antidiskriminierungspolitik sowie kommunalpolitisch in Kassel aktiv – als Stadtverordnete, Sprecherin für Integration und Vorsitzende eines Gleichstellungsausschusses. Ihr politisches Engagement begann 2009 mit dem Beitritt zu Bündnis 90/Die Grünen. Bereits 2007 hatte sie eine Kanzlei für Asyl- und Sozialrecht gegründet, nachdem sie 2006 als Rechtsanwältin zugelassen worden war. Geboren in Asmara, Eritrea, kam sie als Kind mit ihrer Familie nach Deutschland und studierte später Rechtswissenschaften in Heidelberg. Dieses Interview führte Zekiye Tolu. 

SWANS: „Wie würden Sie Ihre Kindheit beschreiben? Wie sind Sie aufgewachsen?“  

Awet Tesfaiesus: „Ich kam mit etwa elf Jahren nach Deutschland – in einem Alter, in dem ich die Sprache und kulturellen Unterschiede sehr bewusst wahrgenommen habe, aber gleichzeitig jung genug war, um in die neue Welt hineinzuwachsen. Das empfand ich als großes Geschenk: Ich durfte in zwei Welten leben, beide Kulturen verstehen und zwischen ihnen vermitteln. Als Kind wurde ich schnell zur Brücke zwischen meiner Herkunft und der neuen Umgebung – zu Hause, in der Schule, im Alltag. Ich lernte, wie unterschiedlich Gesellschaften funktionieren, wie relativ viele Normen und Werte sind – und dass Bescheidenheit und Gemeinschaftssinn genauso berechtigt sein können wie Selbstverwirklichung und Individualismus.  

Doch meine Kindheit war auch geprägt von der Frage: ‚Gehöre ich hierher?‘ – gerade in den 1990ern in meiner Oberstufenzeit, als rassistische Anschläge wie in Mölln, Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen mein Sicherheitsgefühl erschütterten. Ich erlebte diese Zeit als zutiefst prägend und existenziell: Will ich in einem Land bleiben, das mich möglicherweise nicht will? Selbst während meines Übergangs ins Studium war Angst ein ständiger Begleiter – etwa, wenn ein Studienplatz in Ostdeutschland angeboten wurde, und Familie und Freunde warnten, dorthin zu gehen.  

Trotz aller Herausforderungen blicke ich auf meine Kindheit mit Dankbarkeit – sie hat mir Resilienz geschenkt, Perspektivwechsel ermöglicht und mein Verständnis für kulturelle Vielfalt grundlegend geprägt.“  

SWANS: „Sie sind dann in Deutschland geblieben und haben studiert. Was hat Ihnen geholfen diese schwierige Zeit zu überwinden und wie sind Sie damit umgegangen?“  

Awet Tesfaiesus: „Letztlich bin ich aus ganz pragmatischen Gründen in Deutschland geblieben – mein Wunsch zu studieren, die Sprache, die ich inzwischen am besten beherrschte, und die finanziellen Hürden eines Studiums im Ausland ohne deutsche Staatsangehörigkeit haben mich dazu bewogen. Entscheidend war aber auch die Wahl meines Studienorts: Heidelberg. Ich habe die Stadt bewusst gewählt, weil sie durch die Präsenz der US-Armee stark international geprägt war – mit einer offenen, positiven Haltung gegenüber Menschen mit internationaler Biografie. Dort habe ich einen vielfältigen Freundeskreis gefunden, in dem Nationalität keine Rolle spielte. Das hat mir ermöglicht, mich von ständigen Zuschreibungen wie ‚Bist du Deutsch oder eritreisch?‘ zu lösen. Zum ersten Mal konnte ich einfach ich selbst sein – in einem Umfeld, in dem „Anderssein“ die Norm war. Diese Erfahrung hat mir sehr geholfen, innerlich zur Ruhe zu kommen und mich zu finden.“  

SWANS: „Gab es Vorbilder, die Sie früh geprägt haben und einen positiven Einfluss auf Sie hatten?“  

Awet Tesfaiesus: „Mein Großvater war für mich ein tief prägendes Vorbild. Er war Richter in Eritrea – in einem System, in dem Justiz nicht unabhängig war, sondern unter politischem Druck stand. Und trotzdem hat er Haltung gezeigt, hat sich geweigert, seine Urteile politisch beeinflussen zu lassen. Dafür hat er einen hohen Preis gezahlt. Was mich aber besonders beeindruckt hat, war, dass er trotz der Möglichkeit, seine Stellung zum eigenen Vorteil zu nutzen, standhaft geblieben ist. Dieses Bild von Integrität, Mut und Verantwortung hat sich in mir eingebrannt und mich bis heute geprägt.  

Vielleicht hat mich auch deshalb der Weg zum Jurastudium so angesprochen. Für mich war das nicht nur ein Studium – es war der Versuch, ein Land und seine Gesellschaft wirklich zu verstehen. Als Kind aus einer geflüchteten Familie hatte ich oft das Gefühl, außen vor zu sein – die Schule war das eine, aber wie Menschen hier denken, was sie antreibt, das wollte ich wirklich begreifen. Und ich hatte das Gefühl: In den Gesetzen, in den Normen liegt der Schlüssel dazu.  

Zugleich war da immer dieser Wunsch, etwas zurückzugeben. Ich bin nicht dort, wo ich heute bin, weil ich alles allein geschafft habe. Ich hatte Glück – mit Eltern, die für mich gekämpft haben, mit Menschen, die an mich geglaubt und mir Chancen gegeben haben. Ich war das elfjährige Kind, das getragen wurde. Und daraus ist ein tiefer Wunsch entstanden: gesellschaftlich etwas zu bewirken, Verantwortung zu übernehmen, vielleicht auch für andere Brücke zu sein – so wie andere es einst für mich waren.“  

SWANS: „Warum haben Sie sich für die Politik entschieden? Was ist ihr Antrieb?“  

Awet Tesfaiesus: „Ich habe meine Arbeit als Anwältin immer als politisch empfunden – Recht war für mich nie nur Theorie, sondern ein Instrument für Gerechtigkeit. Lange war ich aber kein Mitglied einer Partei. Das änderte sich Mitte der 2000er-Jahre, als sich die Fluchtrouten nach Europa veränderten. Plötzlich kamen Menschen über das Mittelmeer – diese dramatischen Bilder von Urlauber:innen an europäischen Stränden, während Boote mit Geflüchteten anlandeten, haben sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt. Und mit den Bildern kamen die Nachrichten: von Menschen, die ertranken, von denen man wusste – und denen trotzdem nicht geholfen wurde.  

Das war für mich ein Wendepunkt. Ich spürte, dass ich als Anwältin an Grenzen stieß. Was wir brauchten, war keine Einzelfallhilfe mehr – wir brauchten politische Veränderung. Also begann ich, mich aktivistisch zu engagieren, gemeinsam mit anderen aufzuklären und Missstände sichtbar zu machen. Doch irgendwann reichte mir das nicht mehr. Ich wollte dort mitwirken, wo Entscheidungen getroffen werden. Ich wollte mitgestalten statt nur reagieren. Und das war der Moment, in dem ich mich entschieden habe, in eine Partei einzutreten – weil Veränderung Gesetze braucht, und Gesetze brauchen Menschen, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen.“  

SWANS: „Warum sollte ich mich als junge Frau mit Einwanderungsgeschichte politisch engagieren und welche ersten Schritte sind dafür erforderlich?“  

Awet Tesfaiesus: „Jeder Mensch, der in diesem Land lebt, hat Themen, die ihn oder sie bewegen – sei es die Frage nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf, der Zugang zum Arbeitsmarkt oder ob die Schule der eigenen Kinder gut funktioniert. Auch mich haben solche Fragen beschäftigt: Werde ich als Schwarze Frau als Anwältin überhaupt ernst genommen? Kann ich mit Kindern in meinen Beruf zurückkehren? Doch gerade migrantische Frauen erleben, dass ihre Perspektiven in der Politik oft nicht vertreten sind. Es gibt schlicht zu wenige Menschen in politischen Gremien, die unsere Lebensrealität aus eigener Erfahrung kennen – die wissen, was es bedeutet, ohne Deutschkenntnisse hier anzukommen, was es heißt, sich als Kind mit Fluchterfahrung durch das Bildungssystem zu kämpfen.  

Darum ist es so wichtig, dass wir uns selbst einbringen, laut werden und sichtbar machen, was uns bewegt. Denn wenn wir unsere Stimmen nicht erheben, werden unsere Themen übersehen. Wir dürfen nicht darauf hoffen, dass andere für uns sprechen – nicht, weil ihnen der Wille fehlt, sondern weil ihnen die Erfahrung fehlt. Wer nie erlebt hat, wie entscheidend es ist, ob ein Lehrer:in an dich glaubt oder nicht, der weiß oft gar nicht, wie früh Lebenswege beeinflusst werden. Diese Erfahrungen müssen Teil politischer Entscheidungen sein – und dafür braucht es uns. Denn eine gerechte Gesellschaft entsteht nur, wenn alle mitgestalten können.“  

SWANS: „Wie fühlt es sich an, als erste Schwarze Frau in den Bundestag gewählt zu werden, und wie hat Ihr Umfeld darauf reagiert?“  

Awet Tesfaiesus: „Die Reaktionen auf meine Wahl zur Abgeordneten waren sehr unterschiedlich – und haben mir eindrücklich vor Augen geführt, wie verschieden die Realitäten sind, in denen Menschen in diesem Land leben. In meinem weißen, deutsch geprägten Umfeld war die Überraschung groß. Viele Journalist:innen, mit denen ich sprach, sagten mir: ‚Ich musste es erst noch einmal nachrecherchieren – ich konnte kaum glauben, dass Sie die erste Schwarze Frau im Parlament sind.‘ Das hat mich schockiert. Denn genau das meinen wir, wenn wir über strukturelle Diskriminierung, über mangelnde Repräsentation sprechen. Und es hat mir gezeigt, wie sehr das Bild von Gleichheit in der Mehrheitsgesellschaft oft eine Illusion ist.  

In den migrantischen und Schwarzen Communities hingegen war die Reaktion sofort und intensiv: Große Freude, Stolz, emotionale Anteilnahme. Ich erinnere mich an den Tag nach der Wahl – im Zug sprach mich eine junge Schwarze Frau an, umarmte mich, wir standen da mitten im Abteil und weinten. Auch in den sozialen Medien, in Gesprächen auf der Straße – die Resonanz war unmittelbar. Menschen hatten das Gefühl: ‚Endlich jemand, der unsere Realität kennt.‘ Und selbst außerhalb Deutschlands – eine Freundin schrieb mir aus der Türkei, dass sie beim Deutschlernen über die Deutsche Welle auf einen Bericht über mich gestoßen war. Das hat mich sehr berührt.  

Für mich persönlich war das, ehrlich gesagt, keine große Umstellung. Es war meine Normalität, die einzige Schwarze zu sein – in der Schule, im Studium, in der Kommunalpolitik. Ich kenne das nicht anders. Aber ich weiß, dass meine Wahl einen symbolischen Bruch markiert hat – einen Bruch mit der Vorstellung, wer dazugehört. Etwas, das in meiner Kindheit oder auch noch vor zehn Jahren kaum denkbar war, ist heute Realität geworden. Und mein Kind wächst in einer Welt auf, in der es ein Stück dieser neuen Normalität erlebt. Das macht mich stolz – nicht nur für mich, sondern für viele, die sich darin wiederfinden.“  

SWANS: „Wie kann ich mir den Alltag als Mitglied des Deutschen Bundestages vorstellen? Was sind mögliche Herausforderungen und wie bewältigen Sie diese?“ 

Awet Tesfaiesus: „Der Alltag im Bundestag ist vor allem eines: intensiv. Es ist ein unglaublich arbeitsreicher Job – die Tage sind vom frühen Morgen bis spät in den Abend durchgetaktet. Aber gleichzeitig empfinde ich es als großes Privileg. Ich darf Themen setzen, die sonst oft übersehen werden, und für Anliegen kämpfen, die mir aus eigener Erfahrung am Herzen liegen. Das ist eine Verantwortung – aber auch eine große Chance.  

Mein Arbeitsrhythmus ist durch den Wechsel zwischen Sitzungs- und Wahlkreiswochen strukturiert. In den Sitzungswochen bin ich in Berlin – mit Ausschusssitzungen, Plenardebatten, Fachgesprächen und vielen Abstimmungen. In den Wahlkreiswochen bin ich in Nordhessen unterwegs – in meinem Wahlkreis Hersfeld-Rotenburg und Werra-Meißner-Kreis. Dort treffe ich Bürger:innen, führe Sprechstunden durch, besuche Initiativen und versuche, die Anliegen der Menschen aufzunehmen und mit nach Berlin zu nehmen.  

Natürlich ist das Pendeln zwischen Berlin und Kassel anstrengend – aber ich versuche, mir bewusst kleine Inseln der Erholung zu schaffen. Was mir hilft, ist die tiefe Überzeugung, warum ich das alles mache: Ich brenne für meine Themen, für Gerechtigkeit, Teilhabe und eine Gesellschaft, in der jede Stimme zählt. Und wenn ich sehe, dass ich wirklich etwas bewegen kann – dann ist all die Arbeit jeden Tag wert.“  

SWANS: „Was könnte aus Ihrer Sicht in der Politik verbessert werden?“  

Awet Tesfaiesus: „Es gibt vieles, was in der Politik verbessert werden kann – aber zwei Punkte liegen mir besonders am Herzen. Der erste ist Repräsentation. Politik sollte die Vielfalt unserer Gesellschaft widerspiegeln. Natürlich vertrete ich als Abgeordnete alle Bürgerinnen und Bürger, nicht nur Schwarze oder migrantische Menschen. Aber es macht einen Unterschied, welche Erfahrungen man mitbringt. Ich weiß, wie es ist, als Kind mit Einwanderungsgeschichte in Deutschland aufzuwachsen – aber ich weiß nicht, wie es ist, im Rollstuhl groß zu werden. Und genau deshalb brauchen wir Menschen mit unterschiedlichsten Perspektiven in der Politik: damit unsere Entscheidungen reicher, ehrlicher und gerechter werden. Es geht nicht darum, dass jede Person nur für ihre eigene Gruppe spricht – sondern darum, dass gelebte Vielfalt die politische Arbeit insgesamt verbessert. Ob es um Herkunft, Behinderung, Geschlecht, sexuelle Identität oder regionale Unterschiede geht – echte Teilhabe stärkt die Demokratie.  

Der zweite Punkt ist für mich ebenso zentral: Ehrlichkeit. Ich erlebe derzeit eine Politik, die sich oft zu sehr an Schlagzeilen, Umfragen und kurzfristigen Stimmungen orientiert – und zu wenig an Haltung. Ich wünsche mir mehr Mut zur Klarheit, mehr Rückgrat. Es ist gefährlich, wenn Politik sich davon leiten lässt, was gerade populär ist – oder wenn Parteien versuchen, mit populistischen Tönen Aufmerksamkeit zu erlangen. Die AfD zeigt leider, wie gut es funktioniert, mit Empörung, Wut und Angst Stimmen zu gewinnen – aber ich sehe mit Sorge, dass sich auch andere Parteien manchmal an dieser Logik orientieren. Politik darf nicht zum Spiel mit Emotionen und Stimmungen werden. Sie braucht Werte, Verantwortung und die Bereitschaft, auch unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Denn nur dann kann Vertrauen wachsen – und nur so kann Politik wirklich im Sinne der Menschen gestalten.“  

SWANS: „Wenn Sie die Möglichkeit hätten, ein Gesetz für Deutschland zu erlassen, das ohne Weiteres morgen in Kraft treten könnte, welches würden Sie vorschlagen?“  

Awet Tesfaiesus: „Das ist eine schwierige Frage, weil es so viele drängende Themen gibt, die uns als Gesellschaft beschäftigen. Natürlich liegen mir Vielfalt, Repräsentation und eine offene Gesellschaft besonders am Herzen – sie sind auch der Grund, warum ich in die Politik gegangen bin. Aber wenn ich ein einziges Gesetz erlassen könnte, das sofort in Kraft tritt, dann würde ich eines wählen, das über unsere Gegenwart hinausweist: Ein Gesetz, das vorschreibt, dass alle politischen Entscheidungen und Gesetze künftig unter dem Gesichtspunkt getroffen werden müssen, ob sie im Sinne kommender Generationen sind.  

Wir handeln heute oft zu kurzfristig, zu sehr im Rhythmus von Wahlzyklen. Doch viele Entscheidungen – etwa in der Klima-, Finanz- oder Bildungspolitik – haben Auswirkungen, die weit über unsere eigene Lebenszeit hinausreichen. Ein solcher Generationen-Check würde uns zwingen, anders zu denken: nachhaltiger, weitsichtiger, verantwortungsvoller. Denn wir tragen eine Verpflichtung – nicht nur gegenüber den Menschen, die heute leben, sondern auch gegenüber denjenigen, die noch kommen werden.“  

SWANS: „Was ist aus Ihrer Sicht entscheidend um Wähler:innen für sich und seine Partei zu gewinnen?“  

Awet Tesfaiesus: „Für mich ist es ganz klar: Wähler:innen gewinnt man durch Ehrlichkeit und Authentizität. Der einfache Weg, den andere Parteien, wie zum Beispiel die AfD, manchmal gehen, ist, mit populistischen, teils unüberlegten Maßnahmen kurzfristig Stimmen zu gewinnen. Aber ich glaube nicht, dass man zu diesem Preis sein Gewissen oder seine Haltung verkaufen sollte.  

Die Wähler:innen verdienen Politiker:innen, die ehrlich sind und mit ihnen im Dialog stehen. Auch wenn schwierige Debatten geführt werden müssen. Ich bin bereit, meine Meinung zu überdenken, wenn sich die Gegebenheiten ändern. Aber das passiert nicht aus der Berechnung heraus, wie ich mehr Stimmen bekomme, sondern weil ich wirklich überzeugt bin, dass sich etwas geändert hat. Wenn man seine Haltung nur ändert, um Wähler:in zu gewinnen, ohne Überzeugung dahinter, dann verliert man das Vertrauen der Menschen – und das ist letztlich der größte Verlust. Ehrlichkeit ist der Schlüssel, auch wenn es bedeutet, dass man manchmal nicht die Mehrheit bekommt.“  

SWANS: „Was bedeutet Erfolg für Sie persönlich?“  

Awet Tesfaiesus: „Für mich bedeutet Erfolg vor allem ein starkes und erfüllendes privates Umfeld. Ich schätze gute, ehrliche Freundschaften und eine enge Bindung zu meiner Familie. Zu wissen, dass man Menschen um sich hat, mit denen man sich wirklich verbunden fühlt, die einen mögen und mit denen man offen und authentisch sein kann – das ist für mich der wahre Erfolg im Leben.  

Beruflich gesehen ist Erfolg für mich, das zu tun, was ich wirklich will, was mich überzeugt und wofür ich mich leidenschaftlich einsetze. Ich habe das große Privileg, in Bereichen zu arbeiten, die mir am Herzen liegen, wie damals im Flüchtlings- und Asylrecht und jetzt in der Politik. Es ist ein Geschenk, Einfluss auf das Leben von Menschen zu haben und positive Veränderungen zu bewirken. Die Möglichkeit, das zu tun, was ich wirklich will, und dabei meinen eigenen Werten treu zu bleiben, ist für mich der wahre Erfolg.“  

SWANS: „Auf welche Ziele oder Errungenschaften sind Sie besonders stolz?“  

Awet Tesfaiesus: „Ich bin besonders stolz auf mein privates Umfeld, auf die engen, tiefen Freundschaften, die ich pflege, und auf das sehr gute Verhältnis, das ich zu meinen Geschwistern und Eltern habe. Eine starke Familie zu haben, die mich unterstützt, ist für mich ein großer Stolz – und das ist definitiv nicht selbstverständlich, besonders in der Politik, wo der Zeitdruck oft groß ist.  

Darüber hinaus bin ich stolz darauf, dass eine neue Generation von jungen Menschen jetzt in einer Zeit aufwächst, in der eine Schwarze Frau im Bundestag sitzt. Dass sie das als völlig normal ansehen, ohne sich vorzustellen, dass es mal anders war, empfinde ich als sehr wertvoll. Es ist toll zu wissen, dass ich dazu beitragen konnte, eine neue Normalität zu schaffen.“  

SWANS: Welchen Ratschlag würden Sie unseren ‘Schwänen’ abschließend mitgeben?”  

Awet Tesfaiesus: „Mein Ratschlag ist, dass Vernetzung entscheidend ist – das ist wirklich der Schlüssel. Wenn wir uns nicht miteinander vernetzen, laufen wir Gefahr, zu denken, dass wir das Problem sind oder dass es nur uns so geht. In einer Welt, die uns ständig erzählt, was wir nicht können, brauchen wir Menschen, die uns zeigen, was wir alles erreichen können. Menschen, die diesen Weg schon gegangen sind und an denen wir uns ein Beispiel nehmen können.  

Ohne diese Vernetzung werden wir immer nur dem Bild hinterherlaufen, das andere von uns haben. Deshalb ist es wichtig, sich zu vernetzen, um neue Ideen zu entwickeln, was alles möglich ist. Sucht den Austausch, sprecht mit anderen und entwickelt zusammen Ideen. Und wenn ihr Ideen habt, sucht euch Menschen, die das schon umsetzen und lasst euch unterstützen.  

Besonders für Frauen mit Einwanderungshintergrund erlebe ich oft, dass sie Unterstützung suchen und sehr motiviert sind. Es gibt so viele Menschen, die helfen wollen, die euch ihre Erfahrungen anbieten und euch unterstützen, sei es mit Praktika, Mentoring oder einfach durch Gespräche. Nutzt dieses Angebot und unterschätzt nicht, wie viele Menschen bereit sind, euch zu helfen.“  

SWANS: „Vielen Dank für das Gespräch!“  

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