Asmahan Gamgami ist Expertin für Personalentwicklung, Diversity, Equity & Inclusion sowie Organisations- und Kulturwandel. Sie leitet die Abteilung People & Culture beim Fußball-Bundesligisten TSG Hoffenheim und verantwortet dort auch den Bereich Corporate Social Responsibility. Aufgewachsen in Dortmund mit familiären Wurzeln in Marokko, verbindet sie strategisches Denken mit Empathie und einem intersektionalen Blick auf Machtverhältnisse und Teilhabe. Zuvor war sie Global Diversity Managerin bei der OBI Group Holding, wo sie Vielfalt als strukturellen Bestandteil einer gerechten Organisationskultur etablierte. Als Speakerin und Autorin spricht sie über Führung, Antidiskriminierung und Kulturwandel. 2025 veröffentlichte sie ihr zweites Buch „BI_PoC Diversity Managerinnen in weißen Organisationen“, in dem sie untersucht, wie Veränderung in hierarchischen Systemen möglich ist, ohne dass die Treibenden daran zerbrechen. Außerdem ist sie Jurymitglied im Innovationsprogramm für Geschäftsmodelle und Pionierlösungen (IGP) des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Dieses Interview führte Haya Saadun.
SWANS: „Wie würden Sie Ihre Kindheit beschreiben? Wie sind Sie aufgewachsen?“
Asmahan Gamgami: „Schwierig zu beantworten – meine Kindheit war sehr ambivalent. Einerseits behütet, andererseits auch hart. Meine Mutter war alleinerziehend, und mit zwei deutlich älteren Geschwistern habe ich mich oft wie ein Einzelkind gefühlt. Wenn ich sah, wie groß und lebendig andere migrantische Familien waren, empfand ich unsere kleine Familie manchmal als einsam. Ich war extrem wissbegierig und lehnte den Mainstream schon früh ab. Mein Bruder hat mir sehr früh kritisches Denken beigebracht – Regeln und Systeme zu hinterfragen, Dinge nicht einfach hinzunehmen.
Ich war ein sehr glückliches und gleichzeitig ein sehr trauriges Kind. Niemand wusste damals, dass ich ADHS habe. Dadurch fühlte ich mich oft „anders“, unverstanden und vielleicht auch seltsam/ambivalent für andere. Gleichzeitig hatten wir zuhause viel Leichtigkeit und Wärme. Meine Mutter war trotz aller Umstände ein fröhlicher Mensch. Sie hatte viele Freundinnen, die regelmäßig zu uns kamen. Dann war das Haus voller Lachen, Gespräche und Musik. Es gab immer Bewegung, Leben, Geschichten. Wir haben viel unternommen – kleine Ausflüge, Spaziergänge, spontane Nachmittage draußen. Diese Momente haben mein Gefühl von Zuhause stark geprägt – sie gaben mir Halt und Freude, auch wenn vieles im Außen schwierig war. Ich hatte als Kind oft Freundschaften zu Erwachsenen: zu unserer Briefträgerin, einem älteren Nachbarn, an dessen Garten ich nach der Schule vorbeilief, und zu anderen Menschen, die mir im Alltag begegneten. Wir unterhielten uns, sie schrieben mir Karten aus ihrem Urlaub.
Ich glaube, ich hatte schon damals ein starkes Bedürfnis nach echten, tiefen Beziehungen. Ich war immer auf der Suche nach Bedeutung. Und irgendwie suche ich bis heute. Manchmal finde ich sie – in meinem Job, in Begegnungen, an bestimmten Orten – und dann verschwindet sie wieder, und ich fange erneut an zu suchen. Nach der Trennung meiner Eltern lebten wir zunächst im Frauenhaus, später in einer Ein-Zimmer-Wohnung. Daran erinnere ich mich nur vage. Danach zogen wir in ein Sozialbaugebiet. Dort lebten viele Kinder wie ich – Kinder von Gastarbeiter:innen, aber auch deutsche Kinder aus Arbeiterfamilien. Ich kann mich an niemanden erinnern, der dort einen Universitätsabschluss hatte. Wir waren nicht arm. Ich hatte immer genug zu essen und besaß reichlich Kleidung. Irgendwie schaffte es meine Mutter immer, dass es uns an nichts fehlte. Meine Mutter war bildungshungrig, wissbegierig – und sie hat genau das auch in uns geweckt. Sie hat meinen Bruder und mich immer ermutigt, zu lernen, uns zu bilden und die Welt zu verstehen.“
SWANS: „Wer waren Ihre größten Vorbilder?“
Asmahan Gamgami: „Meine größten Vorbilder sind Menschen aus meiner eigenen Familie.
An erster Stelle steht meine Mutter – weil sie immer den Eindruck vermittelte, alles im Griff zu haben. Sie war schön, klug, fleißig, fürsorglich und gleichzeitig achtsam mit sich selbst. Diese Mischung aus Stärke und Selbstfürsorge hat mich tief geprägt. Von meinem Bruder bewundere ich seinen Mut, seine Intelligenz und seine Konsequenz darin, nicht wie die anderen sein zu wollen. Er hat mir früh gezeigt, dass man sich nicht anpassen muss, um respektiert zu werden, und dass Denken Freiheit bedeutet. Und dass Integrität alles ist. Meine Tanten sind für mich ein Beispiel für gelebten Mut. Sie haben sich getraut, ihren eigenen Weg zu gehen – ihre Berufung zu verfolgen, statt in einem sicheren, aber unerfüllten Job zu bleiben. Das erfordert Klarheit, Mut, Zuversicht und Selbstvertrauen.
Und dann ist da noch meine Urgroßmutter – eine Frau, die gesellschaftliche Erwartungen einfach ignoriert hat. Sie ließ sich vor über hundert Jahren sechsmal scheiden – in einer Zeit, in der schon eine einzige Scheidung ein Skandal war. Diese Unerschrockenheit, dieses „Ich lebe nach meinen Regeln“ beeindruckt mich bis heute. Für mich sind aber auch all die Menschen Vorbilder, denen ich im Leben begegnet bin, die Macht hatten – und verantwortungsvoll damit umgegangen sind. Menschen, die ihre Position genutzt haben, um Gutes zu bewirken, statt sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen. Besonders Führungskräfte, die mit Haltung, Empathie und Klarheit geführt haben, bleiben für mich bis heute unvergessen.“
SWANS: „Auf welche Errungenschaft sind Sie besonders stolz? Haben Sie ein Erfolgsgeheimnis?“
Asmahan Gamgami: „Ich bin stolz darauf, dass ich mich immer wieder getraut habe – auch dann, wenn alle um mich herum aus Angst abgeraten haben. Ich bin stolz darauf, Dinge durchgezogen zu haben, selbst wenn man mich dafür für verrückt hielt.
Ich habe jeden Job ernst genommen und mit voller Verantwortung gemacht – egal ob als Putzkraft oder in einer Leitungsfunktion. Ich hatte immer einen hohen Anspruch an meine Arbeit, unabhängig davon, welchen gesellschaftlichen Stellenwert sie hatte.
Mein Erfolgsgeheimnis? Ich glaube, dass es kein richtiges Geheimnis gibt, dass ich hier mit jedem teilen könnte, sondern nur mein persönliches Learning, das für mich funktioniert hat: Einfach machen. Sich trauen. Was ist das Schlimmste, das passieren kann? Viele Menschen stehen sich selbst im Weg – durch Zweifel, Angst oder unnötige Blockaden. Ich habe gelernt, dass man manchmal genau die Dinge tun muss, für die andere einen für verrückt halten. Wenn du nie etwas wagst, das Irritation oder Mut erfordert, hast du vielleicht noch nicht richtig gelebt. Und was mir wirklich hilft, ist meine innere Unabhängigkeit. Trotz einer tiefsitzenden Existenzangst hänge ich an nichts.
Du könntest mir meinen Job, meinen Titel oder mein Auto nehmen – ich würde mich wieder aufbauen. Diese ‚Juckt mich nicht‘-Haltung, im Sinne von: sich nicht abhängig machen von Status, Geld oder Zustimmung anderer, ist meine größte Stärke.“
SWANS: „Was hat Sie dazu gebracht, in die Personalabteilung zu gehen und Diversitätsarbeit zu leisten?“
Asmahan Gamgami: „Die erste Personalabteilung, mit der ich in Berührung gekommen bin, war sehr administrativ geprägt – sie kümmerte sich um die Basics, aber ohne großen Bezug zu den Menschen dahinter. Das war für mich damals noch eher emotionslos. In meinem nächsten Job habe ich dann eine ganz andere Seite von HR (Human Resources=Personalwesen) kennengelernt: Dort ging es um Entwicklung, Workshops, Gespräche – um echtes Interesse an den Mitarbeitenden. Das hat meine Aufmerksamkeit geweckt, weil ich gespürt habe, welchen positiven Impact Personalarbeit haben kann, wenn sie über Verwaltung hinausgeht.
Ab da hat mich das Thema nicht mehr losgelassen. Ich habe verstanden, dass HR – je nachdem, welche Rolle und welchen Einfluss es im Unternehmen hat – weit mehr bewirken kann: Strukturen gestalten, Werte erlebbar machen und die Unternehmenskultur prägen. Und genau hier kommt Diversity ins Spiel. Menschen sind Individuen – mit unterschiedlichen Hintergründen, Erfahrungen und Bedürfnissen. Wenn man sie wirklich als solche wahrnimmt und ein tiefes Verständnis von Teilhabe und Gerechtigkeit entwickelt, kann HR den Rahmen schaffen, in dem Menschen ihr volles Potenzial entfalten. Gleichzeitig geht es darum, Systeme effizienter und inklusiver zu machen. Für mich ist das der Kern moderner Personalarbeit: nicht nur verwalten und Prozesse managen, sondern Strukturen verändern, strategisch arbeiten und Rahmenbedingungen schaffen, in denen Menschen aufblühen können. Denn echte Unternehmensleistung entsteht nur dort, wo Menschen ihr Potenzial entfalten dürfen. Oder wie Richard Branson es einmal sagte ‚Take care of your employees, and they’ll take care of your business. ‘ Ich bin überzeugt: Wenn Menschen wachsen, wächst auch das Unternehmen – nicht umgekehrt.“
SWANS: „Was bedeutet ‚Erfolg‘ für Sie persönlich?“
Asmahan Gamgami: „Erfolg bedeutet für mich etwas anderes als das, was gesellschaftlich oft darunter verstanden wird. In unserer Gesellschaft wird Erfolg meist über äußere Dinge definiert – Macht, Einfluss, Geld, Schönheit, akademische Abschlüsse oder berufliche Titel. Erfolg hängt aber immer auch von Identität und Sozialisation ab. Als Frau giltst du nur als erfolgreich, wenn du Karriere, Partnerschaft, Kind und Fürsorge fürs Umfeld unter einen Hut bekommst. Bei Männern sieht das wieder anders aus. In manchen Familien bedeutet Erfolg, viele Kinder zu haben und damit ein stabiles Netzwerk.
Für hybride Identitäten wie die von migrantischen Frauen ist diese Definition kaum erreichbar – irgendjemand wird dir immer sagen, du hättest versagt. Und ich gebe zu: Auch meine eigene Definition von Erfolg hat sich daran orientiert – zumindest zeitweise. Sie hat sich jedoch immer wieder verändert, vor allem in Phasen, in denen meine religiöse Seite stärker präsent war. Diese Seite erdet mich und erinnert mich daran, was wirklich zählt. Schon als Kind habe ich Menschen bewundert, die weniger hatten als ich – weniger Geld, weniger Status, weniger gesellschaftlich anerkannte Attribute – und trotzdem glücklicher und zufriedener waren. Ich habe mir oft gedacht: Wenn ich es schaffe, mit dem, was ich habe, wirklich zufrieden zu sein, dann bin ich erfolgreich. Auch wenn das nicht der gängigen Vorstellung von Erfolg entspricht.
Heute bedeutet Erfolg für mich, das Richtige zu tun, also meine Werte nicht zu verraten, meine Bestimmung zu finden und zu leben – und mich von gesellschaftlichen Erwartungen und Bewertungen freizumachen. Erfolg heißt für mich, zufrieden zu sein mit dem, was ist, und nicht mit dem Herzen an Dingen zu hängen. Denn wenn man alles verlieren könnte – Job, Besitz, Titel – und der eigene Selbstwert sich dadurch nicht verändert, dann ist man wirklich frei. Und Freiheit ist für mich die höchste Form von Erfolg. Es gibt Dinge, die wir gut können, und Dinge, die uns wirklich erfüllen. Wenn beides zusammenkommt, entsteht das, was die Japaner Ikigai nennen – der Grund, morgens aufzustehen. Und genau das ist für mich Erfolg: ein Leben zu führen, das Sinn macht, das mich erfüllt, und das ich mit Menschen teilen darf, die mir wichtig sind und die ich schätze. Erfolg bedeutet für mich aber auch, Systeme nachhaltig positiv zu verändern – so zu wirken, dass etwas bleibt. Nicht nur in Strukturen/Unternehmen/Gesellschaft, sondern auch in Menschen. Wenn ich im Leben und Arbeiten anderer einen positiven Unterschied hinterlasse.“
SWANS: Daran anknüpfend: Wie misst man Erfolge im Bereich ‘People & Culture‘?“
Asmahan Gamgami: „Erfolge im Bereich People & Culture misst man für mich auf zwei Ebenen – quantitativ und qualitativ. Natürlich gibt es klassische Kennzahlen: Fluktuation, interne Mobilität, Krankenstand, Frauenanteil in Führung, Ergebnisse aus Engagement- oder Zufriedenheitsbefragungen. Diese Daten sind wichtig, weil sie zeigen, ob unsere Maßnahmen wirken. Aber der eigentliche Erfolg zeigt sich in der Qualität unserer Führungskräfte, in der Kultur, die wir schaffen, und in den Gründen, warum Menschen bleiben oder gerne zu uns kommen. Wenn Mitarbeitende sagen: „Ich fühle mich hier gesehen, kann mich entwickeln und bringe mich gern ein“, dann ist das gelebter Erfolg. Erfolg zeigt sich aber auch darin, wie gut unsere Prozesse funktionieren – ob sie Mitarbeitende wirklich unterstützen, Orientierung geben und dazu beitragen, dass wir gemeinsam die Unternehmensziele erreichen. Für mich ist People & Culture dann erfolgreich, wenn es gelingt, Kopf, Herz und Haltung in Einklang zu bringen: also strategisch zu denken, empathisch zu handeln und mit Überzeugung die richtigen Dinge zu tun.“
SWANS: ,,Was hat sich in Ihrer Arbeit in den letzten Jahren verändert?“
Asmahan Gamgami: „In den letzten Jahren hat sich vor allem meine Herangehensweise verändert. Ich habe gelernt, strukturell statt punktuell zu arbeiten – also nicht nur auf einzelne Herausforderungen zu reagieren, sondern Rahmenbedingungen zu schaffen, die langfristig wirken. Mir ist klar geworden, dass echte Veränderung dann entsteht, wenn sie nicht von einer Person abhängig ist, sondern so verankert wird, dass sie bleibt, auch wenn man selbst mal nicht mehr da ist. Das bedeutet: nachhaltige Strukturen statt kurzfristiger Aktionen. Ich habe auch gelernt, den Blick zu weiten – weg vom Einzelnen hin zum Systemischen: Wie können wir Dinge so gestalten, dass sie für viele einen Unterschied machen? Und ganz ehrlich: Ich bin reifer geworden. Meine Arbeit ist heute durchdachter, fokussierter und nachhaltiger. Mache ich immer noch Fehler? Hell, yes. Stehe ich manchmal auf dem Schlauch? Aber sowas von. Nur dass ich heute besser verstehe, warum – und was ich daraus lernen kann.“
SWANS: ,,Wie polarisierend ist das Thema ‘Diversity’ heutzutage?“
Asmahan Gamgami: „Das Thema Diversity polarisiert heute stärker denn je – und das hat mehrere Ebenen. Sobald man über Sichtbarkeit, Macht, Privilegien oder strukturelle Gerechtigkeit spricht, berührt man Identität, Biografien und manchmal auch Schmerzpunkte. Das löst Emotionen aus – auf allen Seiten. Aber für mich ist Polarisierung kein Grund zur Sorge, sondern ein Zeichen, dass Bewegung da ist.
Echte Veränderung braucht Reibung. Sie muss unbequem sein, um Strukturen zu hinterfragen. Was wir allerdings beobachten – sowohl in Deutschland als auch in den USA – ist, dass die Diskussion um Vielfalt zunehmend politisiert wird. In den USA werden Begriffe wie DEI (Diversity, Equity & Inclusion) zum Teil gezielt diskreditiert oder abgeschafft – nicht, weil sie wirkungslos wären, sondern weil sie Machtverhältnisse infrage stellen. Und auch in Deutschland spüren wir diesen Gegenwind immer deutlicher: Diversity wird von manchen als moralisches Projekt oder politische Agenda dargestellt, statt als das, was es ist – ein Fundament für Gerechtigkeit, Innovation und nachhaltigen Unternehmenserfolg. Diese gesellschaftliche Dynamik verstärkt die Polarisierung: Auf der einen Seite Menschen, die Veränderung wollen – auf der anderen, die Angst haben, etwas zu verlieren. Aber Angst ist kein guter Ratgeber. Sie führt zu Abwehr, statt zu Austausch.
Für mich geht es in der Diversitätsarbeit nicht darum, Menschen zu überfordern oder zu belehren, sondern darum, Brücken zu bauen, zuzuhören, Räume zu schaffen und Systeme gerechter zu gestalten. Und wenn wir heute erleben, dass Diversity emotional diskutiert wird, dann heißt das im Grunde: Wir berühren etwas Relevantes. Ich sage oft: ,Wenn es nicht unbequem ist, ist es keine Veränderung.’ Polarisierung ist also kein Scheitern, sondern ein Symptom dafür, dass wir an einem Punkt sind, an dem Wandel spürbar wird. Und genau hier braucht es Haltung, Resilienz und den Willen, dranzubleiben – auch gegen Widerstände. Denn am Ende geht es nicht um Meinungen, sondern um Menschen. Und um die Überzeugung, dass Unternehmen nur dann wirklich erfolgreich sein können, wenn die Menschen, die in ihnen arbeiten, aufblühen.“
SWANS: ,,Wie kann ich mir den Alltag als Frau in einer Führungsposition im Profifußball vorstellen und inwiefern unterscheiden sich die Herausforderungen von klassischen Unternehmen?“
Asmahan Gamgami: „Der Sexismus, der mir im Profifußball begegnet, ist ein anderer als der, den viele Frauen erleben, weil meine Position eine gewisse Aufwertung bietet – aber sie verändert nichts an den grundlegenden Strukturen.
Und was dabei oft übersehen wird: Ich bin nicht nur Frau, sondern rassifizierte, alleinerziehende Mutter – und das ist eine ganz eigene Realität. Das System hat diesen Platz nie für mich vorgesehen, und das spüre ich jeden Tag. Mein Alltag ist ein permanentes Jonglieren: Ich bringe morgens mein Kind zur Schule, telefoniere auf dem Rückweg oft schon mit Kolleg*innen oder höre Sprachnachrichten. Während der Arbeit schreibe ich zwischen Meetings mit meiner Tochter, beantworte Nachrichten, wenn sie etwas Dringendes braucht – manchmal mitten in einem wichtigen Gespräch. Nachmittags geht es weiter mit Hausaufgaben, Hobbys, Nachhilfe, Kochen, Einkaufen, Termine koordinieren, und dazwischen versuche ich, mich auf den nächsten Tag vorzubereiten. Ich denke an alles – an Zahnarzttermine, Schulprojekte, Elternabende, Geburtstagsgeschenke, Turnbeutel, Arztbescheinigungen und nachts sitze ich am Laptop und versuche mich zum Wäsche waschen zu motivieren. Das ist dieser Mental Load, den berufstätige Mütter tragen – die unsichtbare Arbeit, die nie endet. Und obwohl ich mir punktuell Unterstützung leisten kann – Kinderbetreuung, Haushaltshilfe,– komme ich immer wieder an meine Grenzen. Weil es nicht nur um Organisation geht, sondern um Verantwortung, emotionale Präsenz, das Mitdenken von 1.000 Dingen gleichzeitig – und darum, trotz allem professionell, konzentriert und souverän zu bleiben.
Ehrlich gesagt: Ich merke kaum einen Unterschied zu anderen Branchen. Die Strukturen sind fast überall auf ein Modell zugeschnitten, das mit den Lebensrealitäten vieler Frauen – insbesondere alleinerziehender Frauen – wenig zu tun hat. Ich habe großes Glück mit meinem Arbeitgeber: In meinem direkten Umfeld erlebe ich viel Menschlichkeit, Vertrauen und Veränderungsbereitschaft. Das ist keine Selbstverständlichkeit – und es macht einen riesigen Unterschied. Aber systemisch gesehen: Es bleibt ein Ausnahmefall. Mir geht es nicht darum, mich zu „behaupten“, sondern darum, sichtbar zu machen, dass Systeme so gestaltet werden müssen, dass Menschen wie ich überhaupt vorankommen können – ohne sich ständig rechtfertigen, anpassen zu müssen oder sich schlecht zu fühlen.“
SWANS: ,,Was brauche ich als junge Frau, um in einer männerdominierten Branche wie im Fußball erfolgreich zu werden – worauf sollte ich mich besonders konzentrieren?’’
Asmahan Gamgami: „Ich glaube nicht, dass sich der Fußball grundsätzlich von anderen Branchen unterscheidet. Machtstrukturen, Erwartungen und Ungleichgewichte gibt es überall – nur manchmal sichtbarer. Was zählt, sind reflektierte Menschen, nicht ihr Geschlecht. Ich habe viele männliche Supporter, und ihr Support hilft mir ungemein, in einem patriarchalen System zu bestehen. Es geht dabei nicht um Männer, sondern darum, wie bewusst und systemkritisch sie sind. Ich könnte genauso gut in einer frauendominierten Branche arbeiten, die dieselben Ungleichgewichte aufrechterhält. Entscheidend ist also nicht, wer dominiert, sondern wie Macht verstanden, hinterfragt und genutzt wird.
Und am Ende geht es darum, sich selbst treu zu bleiben. Wenn du deinen Werten und Überzeugungen treu bleiben kannst, ist das Erfolg – nach innen und nach außen. Verkaufst du dich zu sehr, nur um bestehen zu können, mag das von außen aussehen wie Erfolg, fühlt sich innen aber an wie Verrat an dir selbst. Das ist tricky, klar – ein bisschen System dribbeln muss man manchmal schon. Aber wenn du dich dabei verlierst, hast du nichts gewonnen.“
SWANS: „Welche Empfehlung geben Sie jemanden, der sich auf ein wichtiges Bewerbungsgespräch vorbereitet?”
Asmahan Gamgami: „Ganz einfach: Lies mein Buch! 😄 Es heißt „Warum Bewerben wie Dating ist“ – ein unkonventioneller und inklusiver Bewerbungsratgeber, in dem Tacheles gesprochen wird. Humorvoll, ehrlich und ohne die üblichen Floskeln. Denn wie beim Dating gilt auch im Bewerbungsgespräch: Du willst nicht einfach gefallen – du willst herausfinden, ob es wirklich passt. Authentisch sein ist keine Taktik, sondern die einzige Strategie, die langfristig funktioniert.“
SWANS: „Wie kann man Inklusion und Diversität wirklich leben?”
Asmahan Gamgami: „Indem man aufhört, Diversität und Inklusion als Projekte oder Events zu behandeln – und anfängt, sie als Haltung zu leben. Es geht nicht darum, Vielfalt zu ‚feiern‘, sondern Strukturen so zu gestalten, dass Menschen wirklich dazugehören können – unabhängig davon, wie sie aussehen, glauben, lieben oder leben. Dafür braucht es Mut, Widersprüche auszuhalten, Macht zu teilen und Privilegien zu reflektieren. Inklusion und Diversität leben heißt: nicht von anderen Veränderung erwarten, sondern sie selbst verkörpern – im Einstellen, im Entscheiden, im Zuhören, im Alltag. Wenn man das tut, wird Diversität nicht zu einem Extra, sondern zum selbstverständlichen Teil von Gerechtigkeit und Qualität.“
SWANS: „Welche Maßnahmen sind Ihrer Meinung nach besonders geeignet, Chancenungleichheiten im Berufsleben entgegenzuwirken?“
Asmahan Gamgami: „Um Chancenungleichheiten im Berufsleben wirklich entgegenzuwirken, braucht es vor allem politischen und juristischen Druck. Freiwillige Selbstverpflichtungen reichen in der Regel nicht aus, weil viele Organisationen erst dann handeln, wenn sie es müssen. Diversity darf deshalb nicht primär als wirtschaftlicher Vorteil oder Imagefaktor verstanden werden, sondern als Menschenrecht und damit als Teil des Antidiskriminierungsrechts. Es geht um Gerechtigkeit, nicht um PR. Dafür braucht es mehr Aufklärung über strukturelle Diskriminierung, eine kritischere Auseinandersetzung mit bestehenden Machtverhältnissen und den Mut, Systeme zu verändern – gemeinsam und solidarisch. Netzwerke wie SWANS oder andere Zusammenschlüsse marginalisierter Gruppen leisten dabei einen echten Beitrag: Sie schaffen Sichtbarkeit, stärken Empowerment und Solidarität und machen deutlich, dass strukturelle Barrieren nicht durch individuelles Talent, sondern nur durch kollektives Handeln abgebaut werden können.“
SWANS: „Welchen Ratschlag würden Sie abschließend unseren ‘Schwänen’ mitgeben?”
Asmahan Gamgami: „Wenn ein Arbeitgeber dich nicht so akzeptiert, wie du bist – oder du das Gefühl hast, ständig eine Rolle spielen zu müssen, um dazuzugehören –, dann lass es. Es macht auf Dauer krank. Und ja, ich weiß, nicht jede*r hat die Freiheit oder das Privileg, einfach zu gehen oder ‚drauf zu scheißen‘. Aber du musst für dich abwägen, was du dir eher leisten kannst: den Preis der Anpassung oder den Preis der Authentizität. Langfristig zahlst du immer drauf, wenn du dich selbst verleugnest – psychisch, körperlich oder beides. Such dir lieber Umfelder, in denen du als ganze Person gesehen wirst, wo du wachsen darfst und nicht permanent beweisen musst, dass du dazugehörst. Und wenn du das noch nicht hast: Bleib verbunden mit Menschen, die dich stärken. Netzwerke wie SWANS zeigen, dass du nicht allein bist. Du musst nicht in einem System bleiben, das dich klein hält. Du darfst Grenzen ziehen – und du darfst dir mehr wünschen, als bloß zu funktionieren. Und bitte: Werde dein Imposter-Syndrom los. Ich ertappe mich bis heute dabei, wie ich denke: ‚WTF? Gehöre ich überhaupt hierher? Bin ich gut genug? Habe ich das überhaupt verdient?‘ Doch genau das ist der Punkt: Wir müssen aufhören, an uns zu zweifeln, nur weil wir Räume betreten, die nie für uns gedacht waren. Du bist nicht zufällig da – du bist die Veränderung, die diese Räume brauchen! “
SWANS: „Vielen Dank für das Gespräch!“


