Anahita Thoms: „Lasst euch nicht in Schubladen stecken!“

Anahita Thoms LL.M. leitet die außenwirtschaftsrechtliche Compliance-Praxis bei Baker McKenzie, ist Steering Committee Mitglied des Menschenrechtskommittees der American Bar Association und Vorständin bei der Atlantikbrücke. Im SWANS-Interview erzählt die Top-Juristin, wie sie ihre Passionen – Gerechtigkeit und Internationalität – in ihrem beruflichen Leben vereint.

Anahita Thoms: Ich bin in Teheran geboren, in Düsseldorf aufgewachsen und dort zur Schule gegangen. Zuhause, im Familienkreis, mit Freunden aus aller Welt oder im Tennisverein haben wir viel und früh über Herkunft gesprochen, aber auch über Dankbarkeit für eine neue Heimat und die Bedeutung von Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Rechtstaatlichkeit. Rechtstaatlichkeit war kein abstraktes Konzept für mich. So verwundert es vielleicht auch nicht, dass ich mich für das Studium der Rechtswissenschaften entschieden habe. Anfangs hätte ich mir eine Laufbahn bei den Vereinten Nationen oder der EU-Kommission gut vorstellen können. Dann habe ich mich näher mit Großkanzleien beschäftigt. Mit exzellenten Kolleg*innen an hochkomplexen Sachverhalten zu arbeiten hat mich sehr gereizt, genauso wie die Internationalität unserer Tätigkeit. Gleichzeitig habe ich von Anfang an Corporate Social Responsibility (CSR) und Pro-bono-Arbeit in meinen Arbeitsalltag integrieren können. Das war vor einem Jahrzehnt alles andere als selbstverständlich. Viele Partner*innen haben das Thema damals noch belächelt.

Sehr positiv war für mich die Erfahrung einer mehr als dreijährigen Tätigkeit als Anwältin für Freshfields in New York. Das Umfeld war sehr spannend und sehr divers. Topjurist*innen aus der ganzen Welt kommen dort zusammen. Es kommt in erster Linie auf die individuelle Leistung an. Zugleich wurde eine Pro-bono-Tätigkeit dort schon damals deutlich mehr geschätzt.

Nach fast einem Jahrzehnt bei Freshfields wurde mir die Leitung der außenwirtschaftsrechtlichen Compliance-Praxis bei Baker McKenzie angeboten. In dieser Funktion berate ich internationale Mandant*innen zu Themen rund um Compliance, begleite sie bei internen und externen Ermittlungen. Bürgerschaftliches Engagement und Pro-bono-Arbeit sind mir weiterhin sehr wichtig, was von meiner Kanzlei sehr unterstützt wird. Ich habe diverse Führungspositionen bei der American Bar Association inne, z.B. als Steering Committee Mitglied des Menschenrechtskommittees und bin Vorständin bei der Atlantikbrücke. Ich setze mich für die Sustainable Development Goals ein, insbesondere für Menschenrechte und gegen moderne Sklaverei. Die Flüchtlingskrise einerseits und die Tatsache, dass die Problematik der sogenannten modernen Sklaverei vollkommen unterschätzt wird, haben mich dazu bewegt, mich hier zu engagieren. Anwält*innen können hier einen wichtigen Beitrag leisten, sei es durch Pro-bono-Arbeit, sei es durch Beratung von Unternehmen im Hinblick auf ihre Supply-Chain-Risikoanalyse.

SWANS: Wer hat immer an Sie geglaubt?

Thoms: Meine Familie ist hier sicherlich an erster Stelle zu nennen. Mein Vater hat mit mir schon über Demokratie und Freiheit diskutiert, da war ich keine 9 Jahre alt, vielleicht jünger. Er sah mich immer eher im politischen Bereich und hat mein Interesse an Recht, Gerechtigkeit und wirtschaftlichen Zusammenhängen stets gefördert. Meine Mutter hätte mich am liebsten als Ärztin gesehen. Hier spürte ich besonders stark den Wunsch meiner Mutter, überall auf der Welt tätig sein zu können und der Gesellschaft etwas zurück zu geben. Sie ist daher besonders stolz, dass ich mich in diversen Non-Profit-Organisationen für Menschenrechte stark mache.

Hat Sie jemand besonders gepusht?

Thoms: Ich hatte viele Mentor*innen und Unterstützer*innen, in der Schule, im Tennisverein, an der Uni, in den Kanzleien, in denen ich gearbeitet habe. Es wäre nicht richtig, einige wenige hervorzuheben. Eins ist aber klar: Ohne Menschen, die an deine Fähigkeiten und deine Visionen glauben, die aber auch kritisch und ehrlich auf deinen Business-Plan oder die Umsetzung deiner Ideen schauen, schafft man es nicht nach oben.

Wo war es für Sie besonders einfach?

Thoms: Ich fühle mich im internationalen Kontext wie ein Fisch im Wasser. Ich habe ein Semester auf einer High School in den USA verbracht, Praktika und Referendariatsstationen im Ausland absolviert, mehrere Jahre als Anwältin in New York gearbeitet. Ich habe immer leicht Zugang gefunden, konnte mein internationales Netzwerk aufbauen. Dabei habe ich schnell gelernt, wie wichtig es ist, sich bewusst in die Situation anderer zu versetzen, vor allem bei interkulturellen Unterschieden. Das hat mir stets geholfen, sei es als Partnerin in einer sehr internationalen Großkanzlei oder bei der Ausübung von Führungspositionen bei der American Bar Association, der Atlantikbrücke oder als Kommentatorin von Handelsfragen bei der BBC. Ein Perspektivwechsel kann manchmal Wunder bewirken.

SWANS: Was muss passieren, damit es mehr Frauen wie Sie nach ganz oben schaffen?

Thoms: Wenn man sich die Großkanzleien in Deutschland anschaut, gibt es weiterhin zu wenige weibliche Partner*innen, erst recht nicht in Managementfunktionen. Dies ist für mich ein Hinweis darauf, dass es uns immer noch nicht gelingt, hochtalentierte junge Frauen in ausreichender Zahl für den Anwaltsberuf in Großkanzleien zu begeistern. Gleichzeitig muss man sehen, welche Fortschritte wir in den vergangenen Jahren gemacht haben. Als ich in der Großkanzlei anfing, gab es nahezu gar keine Frauen in herausgehobenen Positionen, Teilzeit war verpönt. Jetzt haben wir immerhin diverse Associates in Teilzeit und alternative Karrierewege. Ich sage immer: Wir müssen bessere Rahmenbedingungen schaffen, mit klaren Prozessen und Zielen. Wir müssen besser kommunizieren und insbesondere einen pragmatischeren Umgang mit Teilzeitmodellen und mobilem Arbeiten schaffen. Wir machen keine Kompromisse hinsichtlich der Qualität unserer Mitarbeiter*innen, wir wollen die besten Talente. Das bedeutet aber auch, dass wir kreativer werden und uns mit den Erwartungen der jungen Kolleg*innen an ihre Arbeitgeber*innen noch besser auseinandersetzen.

SWANS: Welchen Tipp geben Sie an junge Studentinnen bzw. Absolventinnen?

Thoms: Seid mutig! Ihr könnt alles schaffen. Es kann manchmal ein steiniger Weg sein, aber man darf vor allem nie aufgeben. Die meisten Menschen überschätzen, was sie kurzfristig leisten können und unterschätzen, was sie langfristig erreichen können. Pläne zu schmieden und Meilensteine zu definieren, kann helfen, Ziele zu erreichen, sei es in der Wirtschaft oder bei der Non-Profit-Arbeit. Manchmal ist es ein Marathon, dann aber ist man manchmal schneller am Ziel als gedacht. Und: Lasst euch nicht in Schubladen stecken.

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